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Die Zarin der Nacht

Die Zarin der Nacht

Titel: Die Zarin der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Stachniak
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Saal zu der Stelle, wo der Rollsessel wartet.
    Wenn ich weine, denkt sie, werden die anderen schluchzen; wenn ich schluchze, werden die anderen ohnmächtig, und
dann verlieren sie am Ende alles, ihren Kopf und ihre Haltung.
    Was tot ist, ist tot. Ich muss an das denken, was noch möglich ist.
    Â 
    Sobald sie in ihren inneren Gemächern ist und die Tür sich hinter ihr geschlossen hat, lässt Katharina sich von Alexander aus dem Rollsessel heben und bittet Sotow, ihn nach draußen zu schieben.
    Vier Kammerzofen stehen bereit, um sie aus ihren Kleidern zu befreien, das Make-up abzuwischen, die Nadeln aus ihrer Frisur zu entfernen. Sie müssen gehört haben, was passiert ist, denn sie starren auf den Teppich.
    Â»Wartet draußen, bis ich euch rufe«, befiehlt sie, und sie verschwinden.
    Â»Ruh dich ein wenig aus«, sagt sie zu Alexander, dessen Gesichtsfarbe immer noch zwischen rosig und rot und weiß wechselt. »Morgen gibt es genug zu tun.«
    Ihr Enkel zögert, strafft sich. Im Geiste ist er wohl wieder im Sankt-Georg-Saal und bei der schluchzenden Alexandrine, denn er ballt die Fäuste.
    Â»Geh, mein Lieber«, wiederholt sie, denn sie weiß, wie bitter Demütigung schmeckt, und sieht ihm nach.
    Noch in ihren schweren Gewändern und auf den Stock gestützt, den Anjetschka – die sie erst jetzt wahrnimmt – ihr gereicht hat, schleppt sie sich ins Schlafzimmer. »Hol Platon Alexandrowitsch«, befiehlt sie. »Und lass mich allein.« Wie ein Stein, der Wellen im Wasser erzeugt, so setzen ihre Worte Füße in Bewegung, öffnen und schließen Türen.
    Platon Alexandrowitsch … Platon Alexandrowitsch …
    Ein eitler Pfau von Mann. Samtweiche Haut und süße Schmeicheltöne.
    Ihre Torheit. Ihre Schwäche.
    Behalt ihn in deinem Schlafzimmer, Matuschka , auf seinen
Knien. Grischenkas Stimme hallt von den Gobelins an den vergoldeten Wänden, die Kaiserin Elisabeth so liebte. Er soll dich amüsieren, dir Lust bereiten. Lass ihn den goldenen Jungen spielen, mit seinen Morgenempfängen, seinem Äffchen. Aber betraue ihn niemals mit irgendetwas Wichtigem.
    Wieso hat sie nicht auf ihn gehört? Wieso hat eine längst erloschene Leidenschaft die Stimme der Vernunft zum Schweigen bringen können?
    Â 
    Ein leises Klopfen an der Tür. Eine flüsternde Bitte um Einlass. Es ist Wischka. »Ich war bei Alexandrine, Majestät, aber vielleicht ist jetzt nicht der richtige Zeitpunkt …«
    Â»Sprich«, sagt sie barsch. Warum machen sich plötzlich alle so viele Gedanken darum, ob der Zeitpunkt passend ist oder nicht? Hat sie sich je vor der Wahrheit gescheut?
    Â»Die Großfürstin weint ununterbrochen«, sagt Wischka. Die Falten in ihrem Gesicht zeugen von Kummer und Zorn.
    Â»Ist Alexander bei ihr?«
    Â»Ja, Majestät. Und ihre Maman.«
    Â»Was sagen sie ihr?«
    Â»Dass es sich um eine unvorhergesehene Verzögerung handelt. Ein Missverständnis, das behoben werden müsse. Aber die Großfürstin hört gar nicht zu. Das ist das Ende, sagt sie.«
    Â»Kann man ihr nicht etwas geben?«
    Â»Rogerson hat sie zur Ader gelassen. Laudanum hat ein wenig geholfen, konnte aber ihre Weinkrämpfe nicht stoppen.«
    Â»Geh zu ihr«, befiehlt sie Wischka. »Sag dem Kind, sie soll sich die Augen mit Eis kühlen und zu weinen aufhören. Sag ihr, ich kümmere mich um alles. Sag ihr, ich möchte sie morgen sehen. Keine Tränen mehr.«
    Wischkas Absätze klacken auf dem Holzboden, als sie das Zimmer verlässt. Wenn Alexandrine halbwegs bei Verstand ist, wird sie auf die hören, die es besser wissen. Wird morgen in ihrem rosafarbenen Kleid, hübsch frisiert erscheinen, als wäre
nichts Außergewöhnliches geschehen. Wird ein paar zwanglose Unterhaltungen führen. Sich nicht in Spekulationen verwickeln lassen. Das Vorgefallene als unbedeutend abtun. Sie wird sich wie eine Königin verhalten und dem König zeigen, was er zu verlieren droht.
    Â 
    Die schwere Tür öffnet sich erneut. Le Noiraud kommt hereingeschlichen und murmelt Entschuldigungen. Er ist das Opfer einer ungeheuerlichen Perfidie. Die ganze Zeit war er fest überzeugt, dass alles freundschaftlich gelöst werden würde. Aber der König hat sich absolut unvernünftig verhalten.
    Die Worte fließen, perlen ihm von der Zunge, jedes einzelne ein Angriff: »Der König …

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