Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Zarin der Nacht

Die Zarin der Nacht

Titel: Die Zarin der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Stachniak
Vom Netzwerk:
Farbschicht, die ihre Falten glättet. Ihr Haar wird von Nadeln befreit und mit gleichmäßigen Strichen gebürstet.
    Noch ein paar Minuten. Eine geballte Faust, und die Finger zittern nicht mehr. Ein tiefer Atemzug, und das Herz schlägt ein klein wenig langsamer.
    Endlich duftet sie nach Rosenwasser und Mandelmilch. Eine
weiche Nachtmütze bedeckt ihren Kopf. Ihr Körper ist in ein weißes, spitzenbesetztes Nachthemd gehüllt. Flüchtig streift ihr Blick das Gemälde mit Sarah, die der Schatten verbirgt, und Hagar, die im Licht steht. Sie sollte sich zum Kind begeben, doch dazu fehlt ihr die Kraft. Morgen, sagt sie sich.
    Die Zofen ziehen sich eine nach der anderen zurück, nachdem sie die Kissen aufgeschüttelt und den Bettwärmer unter der Decke hervorgeholt haben. Doch jetzt kommt Anjetschka mit ihrem abendlichen Glas Malaga auf einem Tablett hereingeschlurft. »Ich werde heute Nacht im Vorzimmer schlafen, falls Majestät mich brauchen«, murmelt sie.
    Â»Geh! Jetzt !«
    Â 
    Endlich allein, sinkt sie zu Boden. Ihre Gedanken sind roh, blutrünstig. Sie zerreißen sie.
    Ich habe einem Narren vertraut. Und jetzt lässt mich sogar mein Körper im Stich.
    Sie spürt Aschegeschmack auf der Zunge. Flehentlich hebt sie ihre Hände, doch die Gedanken, diese lauernden Geier, stürzen sich erbarmungslos auf sie.
    Es gibt keinen Grischenka. Es wird nie mehr einen wie ihn geben. Ich habe schon zu viel verloren. Ich habe nichts mehr.
    Und noch im Weinen fällt ihr ein, dass Geier sich nur von Kadavern ernähren.

 
 
VIERTER TEIL
    6. November 1796
    00.00 Uhr
    Schritte kommen näher, Absätze schrammen über den Boden. Ein knochiger Finger tastet ihren Hals ab, zieht an der Haut unter ihren Augen. Kerzenlicht blendet, sie sieht die flackernde Flamme noch, als die Kerze schon nicht mehr da ist.
    Der schottische Doktor schnalzt mit der Zunge. Zu jemandem, der sich in der Dunkelheit verbirgt, sagt er voll Verwunderung: »Der menschliche Körper ist ein Mysterium. Verfügt über einen heimlichen Vorrat an Kraft, wo man nichts als Verfall erwartet hat. Die Absonderungen des weiblichen Schoßes verändern den Fluss der Körpersäfte.«
    Â»Wie lange noch, Doktor?«
    Â»Das kann niemand sagen, Hoheit. Die Konstitution ist stark, der Puls ebenfalls. Das Herz schlägt noch.«
    Â 
    Â»In Sankt Petersburg«, hört sie Grischenka heiser flüstern, »muss man die Nacht lieben, oder man wird verrückt.«
    Grischenka, ihr geliebter taurischer Prinz. Ihr Liebhaber. Ihr Ehemann. Ihr allerbester Freund.
    Â 
    Liege ich im Sterben, Grischenka?
    Werde ich nie Alexanders Kinder sehen? Nie erleben, dass Alexandrine heiratet?
    Nie mehr Frühlingsblumen riechen?
    Kommt so das Ende?
    Â 
    00.05 Uhr
    Der dünne Mann, der neben dem Bett sitzt, ist nicht mehr jung. Er hat eine mopsartige Himmelfahrtsnase und ein längliches Gesicht mit gräulichen, spitzen Zähnen im knurrenden Maul. Eine Speichelblase sitzt in seinem Mundwinkel.
    Â 
    Ich habe einen Sohn.
    Sein Name ist Paul.
    Â 
    Ihr Sohn, verkrüppelt durch Neid, ein Kind erzwungener Allianzen und ohnmächtiger Zeiten, murmelt: »Dies alles verachte ich, Mutter.«
    An den Fingern zählt er auf: Höflinge und Speichellecker. Titel und Ehrungen. Mätressen und Huren. Die Welt der Maskenbälle, der Unzucht und der Intrigen.
    Furien. Harpyien.
    Frauen, die nicht begreifen wollen, dass sie einem Mann niemals ebenbürtig sein können.
    Â»Das haben schon die Alten gewusst, Mutter. Hör auf Platon und Aristoteles.«
    Â 
    Nur Männer sind direkt von den Göttern erschaffen und haben eine Seele … das Beste, was eine Frau erhoffen kann, ist, dass sie ein Mann wird.
    Â 
    Frauen sind unfruchtbare Männer … die Beziehung zwischen Mann und Frau ist von Natur derartig, dass der Mann über der Frau steht, dass der Mann herrscht und die Frau beherrscht wird.
    Â 
    Sie verschließt ihre Ohren seinem Gift, dem Pesthauch seiner enttäuschten Träume.
    Ihr Sohn hat keine Macht.
    Er kann sie nicht verletzen.
    Er weiß nicht, wie.
    Â 
    Ob Papa ihn gemocht hätte? Seinen Enkelsohn? Diesen ungelenken Mann, der mit den Händen wedelt und schwer atmet, schnauft wie ein Walross?
    Ein vertauschtes Baby, Papa.
    Ein Wechselbalg.
    Warum nur ist Anna gestorben und nicht er? Vielleicht wäre ich mit einer Tochter glücklicher geworden.

Weitere Kostenlose Bücher