Die Zarin der Nacht
weià nicht einmal, wann es ihm gestattet sein wird, zurückzukommen. Bei dem Gedanken daran schiebt sie die Hand zwischen ihre Schenkel, aber das ist nur ein armseliger Ersatz für wirkliches Glück.
Jetzt, da sie Russland einen Zarewitsch geschenkt hat, ist die GroÃfürstin zu einem Machtfaktor geworden, den man nicht so ohne Weiteres auÃer Acht lassen darf. Die Höflinge tragen dem Rechnung, beziehen sie in ihre Kalkulation ein, denken über neue Allianzen nach. Soll man sich auf die Seite des Kronprinzen schlagen oder auf die der Mutter seines künftigen Erben? Wer von beiden wird sich letztlich durchsetzen, wenn die Kaiserin stirbt? Wer wird sich besser gegen die Palastintrigen behaupten, wer wird mehr Sympathien gewinnen? Erste Ergebnisse solcher Ãberlegungen zeigen sich bereits. Geschenke, begleitet von Ergebenheitsbekundungen, treffen ein: ganze Ballen Stoff, teure Weine, seltene Bücher. Die GroÃfürstin wird zu Namenstagsfeiern und zum Kartenspiel eingeladen. Die Gräfin Schuwalowa und ihre Schwäger intrigieren weiter gegen sie, aber der Kanzler Bestuschew, der früher ihr Feind war, lässt keine Gelegenheit aus, ihr zu versichern, dass sie auf seinen Beistand zählen kann.
Sie oder Peter, darum geht es.
Der künftige Kaiser schaut jeden Abend bei ihr vorbei, sitzt da, seine Tonpfeife im Mund, und bläst stinkende Rauchwolken in die Luft, während er seine Weisheiten von sich gibt. Die
Schiffe der russischen Flotte sind in so schlechtem Zustand, dass der bloÃe Knall eines Kanonenschusses hinreicht, sie zu versenken. Regenwürmer in Ãl und Rotwein gekocht sind die beste Medizin bei Kriegsverletzungen verschiedenster Art.
Er sieht Katharina kaum an; seine Augen suchen immer ihre Hofdamen, sein eigentliches Publikum bei diesen täglichen Visiten. Um ihnen zu gefallen, trägt er die modischen Taubenflügellocken, für sie parfümiert er sich wie ein Sultan. Nun ja, nicht eigentlich für sie , sondern für eine bestimmte von ihnen, Elisabeth Woronzowa, die man am Hof Das Fräulein nennt. Sie ist kurzbeinig, hässlich und vulgär, aber Peter ist hingerissen von ihr. »Ja, Hoheit ⦠nein, Hoheit ⦠wie klug Sie sind, Hoheit.«
Katharina möchte sich empören, aber ihr Ãrger ist lahm und halbherzig. Die Wahrheit ist, dass einzig die Gegenwart des Geliebten sie aus ihrer Verzweiflung reiÃen könnte. Sie bemüht sich, aus Erinnerungssplittern ein Bild seines schmalen Gesichts zusammenzusetzen, sucht in den Stimmen anderer Männer nach seiner dunklen Stimme, verzehrt sich vor Sehnsucht nach seinen Zärtlichkeiten. Es zerreiÃt ihr das Herz.
»Hoheit sollten mich anhören«, sagt Bestuschew. »So bitter es auch ist.«
In Schweden, so berichtet der Kanzler, stolziert Sergej Saltykow wie ein Pfau umher, geschmückt mit dem ganzen Glanz, den seine Affäre mit der GroÃfürstin ihm verleiht. »Respektlos«, sagt Bestuschew, »indiskret.« Prahlt damit, wie leidenschaftlich sie ihn liebt, lässt durchblicken, dass er von ihrer Gunst noch viel zu erwarten hat.
»Das glaube ich nicht!«, schreit sie. Sie hat dergleichen schon öfter gehört. Nichts als bösartige Verleumdung. Warum nur wollen alle, dass sie ihn nicht mehr liebt?
Der Kanzler des russischen Reichs nickt ernst und wechselt das Thema. Die Possen des Fräuleins ärgern ihn. Wie sie sich kokett in Szene setzt. Ihre ordinären Witze, die den GroÃfürs
ten so sehr amüsieren: Eine Fliege kommt in eine Kneipe und bestellt eine Portion ScheiÃe mit Zwiebeln. »Aber bitte nicht so viele Zwiebeln«, sagt sie zum Kellner. »Davon kriegt man Mundgeruch.«
Der Kanzler seufzt und bemerkt, wenn Hoheit Interesse hätten, könnte er ihr leicht eine ganze Anzahl von Witzen dieses Kalibers zur Verfügung stellen. Etwa von hohen Herrschaften, die an sehr ungewöhnlichen Orten ihre Notdurft verrichten, oder von sexuellen Begegnungen in verschiedensten Varianten. »Euer Hoheit könnten Ihren Mann auch zum Lachen bringen, hin und wieder ⦠Lachen wirkt befreiend und löst Spannungen, wie Sie wissen.«
Sie schüttelt den Kopf.
Bestuschew ist nicht der Einzige, der ihr Sergej auszureden versucht. Alle möglichen Leute fühlen sich bemüÃigt, ihren Geliebten bei ihr anzuschwärzen. »Hat er nicht seine Frau aufs Land verbannt, nur damit er ihre Tränen nicht zu
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