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Die Zarin der Nacht

Die Zarin der Nacht

Titel: Die Zarin der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Stachniak
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Ein Kindchen ist in eine Welt hineingeboren worden, in der die Mutter es nicht berühren darf, es nicht in ihren Armen wiegen darf, seine Tränen nicht fortküssen darf.
    Einer Kuh wird erlaubt, ihr Kalb zu lecken und zu beschnuppern.
    Ist eine russische Großfürstin weniger wert als eine Kuh?
    Â»Pssst … Sie müssen aufhören zu weinen … man könnte Sie hören. Sie wollen doch nicht, dass die Kaiserin denkt, Sie
hätten kein Vertrauen zu ihr und glaubten, sie würde nicht richtig für Ihr Kind sorgen.«
    Â 
    Ein Herz kann nicht endlos viel Leid ertragen.
    Â 
    Â»Hör zu, Warenka. Sei still und hör mir zu.
    Ich will, dass sie stirbt. Ich möchte zusehen, wie sie ihren letzten Atemzug tut. Ich möchte sehen, wie sie verröchelt. Einsam und allein.
    Ich rede, wie es mir passt. Es ist mir gleichgültig, ob es jemand hört.«
    Â 
    Warwara wird bleich, ihre Augen huschen hin und her. Ihre linke Wanke zuckt nervös. Sie schüttelt den Kopf, schlägt die Hände vor den Mund. »Pssst«, flüstert sie. »Es ist nur das Leid, das aus Ihnen spricht.«
    *
    Manche Lektionen, die das Leben ihr erteilte, konnte sie lange nicht annehmen. Warum? Sie machte sich Illusionen. Redete sich selbst die Verhältnisse schön. Weigerte sich, zur Kenntnis zu nehmen, was sie doch mit eigenen Augen sah. Hielt daran fest, dass im Reich der Liebe manche Dinge heilig sind.
    Sergej sagte: »Du bist mein Ein und Alles«, und sie glaubte es.
    Sergej sagte: »Ich habe dir zu einem Sohn verholfen. Deine Position ist gesichert. Aber jetzt muss ich mich von dir fernhalten. Es tut mir mehr weh als dir«, und sie glaubte es.
    Sergej sagte: »Dein Schicksal liegt jetzt in deinen eigenen Händen«, aber das glaubte sie nicht.
    Â 
    Es ist schon Winter. Sie hat angeordnet, dass ihr Bett in einen kleinen Verschlag in ihrem Schlafzimmer gestellt wird, vor eine Seitentür, die immer abgesperrt ist. Es ist dort nicht so zugig,
sagt sie. Seit sie ihr erstes Kind geboren hat, ist sie sehr kälteempfindlich. In ihrer winzigen Kammer, warm zugedeckt mit einem Daunenbett und einer Pelzdecke, liest sie oder, wenn die Wörter vor ihren Augen verschwimmen, starrt sie auf die versperrte Tür. Die Maserung des Holzes bildet komplizierte Muster. Schraubenlöcher zeigen an, dass ein altes Schloss durch ein neues ersetzt worden ist. Manchmal knarrt das Holz, besonders bei Nacht, wenn die Stille und die Kälte alle Geräusche lauter erscheinen lassen.
    Ihr Bauch tut immer noch weh. Der Schmerz beginnt an einer Stelle, gewöhnlich dort, wo der Kopf des Babys sie aufgerissen hat, und wandert dann in scharfen Attacken nach oben. Sie bemüht sich, nicht an den Sohn zu denken, den sie immer nur von Tränen verschleierte Augenblicke lang sehen darf. Ein in Windeln gewickeltes Baby mit wasserblauen Augen und einem dünnen Büschel blonder Haare auf dem Kopf.
    Manchmal gelingt es ihr.
    Ihr geliebter Sergej hat rabenschwarze Locken und schwarze Augen. Könnte es sein, dass Paul doch Peters Sohn ist? Alles in ihr empört sich dagegen. Nicht nur, weil ihr beim bloßen Gedanken daran, wie ihr Mann keuchend und grunzend auf ihr liegt, ganz schlecht wird, sondern auch, weil die Vorstellung, dass ihr Sohn irgendetwas von ihm geerbt haben könnte, ihr gründlich zuwider ist.
    Manchmal bringt eine Hofdame oder eine Zofe, um Katharina eine Freude zu machen, Nachrichten aus dem kaiserlichen Kinderzimmer. Der kleine Paul hat die ganze Nacht geweint. Er hat eine so komische Grimasse geschnitten beim Gähnen. Er saugt an seiner winzigen Faust, er hat die Amme angepinkelt, als sie seine Windeln wechseln wollte.
    Solch treue Aufmerksamkeit muss man hegen und pflegen. Sie hat eine Schublade voller Lackkästchen, Schildpattkämme, Glasperlen, Besatzbänder. Sie weiß genau, welche Belohnung zu wem passt, wer sich über eine Haarspange freut und wer
über ein Stückchen Spitze und wen sie nur dadurch glücklich machen kann, dass sie heimliches Einverständnis und gerührte Dankbarkeit signalisiert.
    Bald nach der Niederkunft zeigt sich ein dunkler Streifen auf ihrem Bauch. Die Haut hat sich gedehnt, die Muskeln sind nicht mehr so straff wie vorher. Wird sie so Sergej noch gefallen? Die Zarin hat ihn nach Schweden geschickt, »damit die Großfürstin sich nicht länger erniedrigt«.
    Er hat ihr nicht geschrieben. Zu gefährlich. Sie

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