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Die Zarin der Nacht

Die Zarin der Nacht

Titel: Die Zarin der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Stachniak
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sehen brauchte?«, fragt Warwara. »Hat er nicht den Schmuck seiner Mutter zum Pfandleiher getragen?« Sogar Lew Naryschkin stimmt mit ein in den Chor. Er erzählt ihr, dass Sergej beim Kartenspiel betrügt. Nicht einmal oder zweimal, sondern andauernd.
    Mag sein, dass Sergej am schwedischen Hof schlecht über sie redet, gibt sie zu, aber nur, um sie zu schützen. Damit die Gerüchte aufhören, die ihr und ihrem Sohn schaden könnten.
    Sie muss nur mit ihm sprechen.
    Hören, was er dazu zu sagen hat.
    Ihm klarmachen, dass ihre Gefühle sich nicht geändert haben.
    Und sie wird ihn sehen. Sobald er zum Neujahrsfest wieder nach Russland kommt.
    1755 wird das Jahr großer Umbrüche werden.
    Â 
    Sie hat Elisabeth gebeten, ihre Abwesenheit beim Neujahrsball zu entschuldigen. Jetzt trägt sie ein weißes Musselinkleid, im
Haar ein rosa Band, ihr Körper duftet nach Parfüm. Bevor das Mädchen gehen durfte, musste es noch Holz im Kamin nachlegen. Bald ist es im Schlafzimmer so warm, dass Katharina Strümpfe und Fellpantoffel ablegen kann.
    Sie wartet. Vom Ballsaal her klingt Musik durch die Korridore des Winterpalasts. Gelächter und Schreie des Entzückens sind zu hören. Die Festgäste können ungehindert durch den Palast streifen. Liebespaare suchen leere Zimmer, wo sie ungestört sind. Schritte nähern sich und entfernen sich wieder.
    Sie ist ruhelos. Sie versucht zu lesen, klappt das Buch aber bald wieder zu. Das Kaminfeuer bietet eine Weile Zerstreuung. Sie beobachtet das Tanzen der Flammen, lauscht dem Knistern und Zischen des Holzes. Irgendwann kann sie nicht mehr widerstehen: Sie nimmt einen kleinen Schluck Laudanum, unverdünnt, direkt aus der Flasche. Es schmeckt bitter, aber dann wird es tröstlich warm in ihrem Magen.
    Sie fängt an, mit dem Schicksal zu feilschen. Wenn er kommt, wird sie den Armen Almosen geben, ihren Schmuck verkaufen und fünf Waisenmädchen aufnehmen. Zehn, nein, zwanzig, und sie wird sie auf ihre Kosten erziehen lassen. Sie werden lesen, schreiben, rechnen lernen. Sie wird ihnen eine Aussteuer schenken und gute Ehemänner für sie suchen.
    Vom Rest der Nacht weiß sie nicht mehr viel. Ein paar Vertraute, die versprochen haben, Sergej im Auge zu behalten, kommen vorbei. Ja, sie haben ihn gesehen. Ja, sie haben ihm ausgerichtet, dass sie ihn liebt. Ja, er weiß, dass sie auf ihn wartet. Dass sie allein ist.
    Â»Und warum ist er nicht da?«, fragt sie.
    Sie weiß nicht mehr, was ihre Freunde ihr antworteten, aber sie weiß noch genau, wie bleischwer sie sich fühlte. Gefangen in einem zähen Nebel, der ihr ganzes Denken lähmte. Sogar ihre Zunge wurde so schwer und träge, dass ihre Worte nur noch ganz langsam und verwaschen herauskamen.
    Sagte Sergej nicht einmal: Bist du nicht meine Geliebte? Die
Königin, die mein ganzes Denken regiert? Was sollte sich geändert haben?
    Â 
    Er kommt doch noch, eine Woche später. In dieser Zeit ist ihr Haar fettig und unansehnlich geworden, alles Zureden ihrer Hofdamen hat sie nicht dazu bewegen können, sich anzukleiden und Besuche zu empfangen. Ihr Gesicht im Spiegel sieht ausgezehrt aus, von schrecklichen Leiden gezeichnet. Es ist, als wäre sie eine Schwerkranke, die abgeschlossen von der Welt leben muss, damit sie niemanden ansteckt.
    Unangekündigt tritt er in ihr Zimmer, mit ihm weht der Geruch von Rauch, von feuchtem Leder, von Pferdeschweiß herein, die Gerüche der Landstraße. Er hat ein Mitbringsel aus Schweden dabei, ein Trockensträußchen mit Kiefernzapfen und Eicheln und einer roten Schleife. Er überreicht es ihr mit großer Geste wie eine Kostbarkeit.
    Sie macht ihren Hofdamen ein Zeichen, sie allein zu lassen. Kaum sind sie weg, fällt sie ihm um den Hals, schmiegt sich an seine Brust. Sein Herz schlägt schnell, aber er macht keine Anstalten, sie zu umarmen.
    Es dauert einen Moment, bis sie das Geräusch zur Kenntnis nimmt, das er von sich gibt: ein tadelndes Zungenschnalzen. »Die Großfürstin von Russland erregt unliebsames Aufsehen am Hof. Hast du nicht gehört, was die Schuwalows über dich reden?«
    Er löst ihre Hände von seinem Hals und nötigt sie, sich zu setzen. »Ich bin hier«, sagt er, »weil du mich dazu gezwungen hast.«
    Sie hört ihn und hört ihn doch nicht. Murmelnd redet sie von ihrem Leid, der Angst, die sie ausgestanden hat, ihrer Einsamkeit. Er soll wissen,

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