Die Zarin der Nacht
eine schwache Frau. Sie kann sich Knochen brechen, ein Huftritt kann ihr Rückgrat zerschmettern. Sie hat schon Männer gesehen, die abgeworfen wurden und sich so schwer verletzten, dass sie ihr Leben lang Krüppel blieben. Sie hat sie liegen sehen mit rosa Schaum auf den Lippen.
Sie lässt die Angst in sich ein. Ihr Herz pocht in wilder Panik in ihrem Brustkorb. Es bettelt um mehr Zeit, sagt, sie brauche mehr Ãbung. Drängt sie, sich unter irgendeinem Vorwand zu drücken. Oder sich zu ihrer Schwäche zu bekennen. Ich zähle bis fünf, entscheidet sie. So lange erlaube ich mir, Angst zu haben. Aus Momenten wie diesem kann sie Mut gewinnen: Als die Zeit um ist, als sie nach dem Zügel greift und sich in den Sattel helfen lässt, gibt es kein Zittern und Zögern mehr. Ihr Herz schlägt gleichmäÃig, ihre Stimme klingt ruhig und fest.
Auf Grigori Orlows Gesicht breitet sich ein Lächeln aus. Ein Lächeln, das Lob und Stolz zum Ausdruck bringt.
*
Ihr Körper lässt sie im Stich. Zuerst hofft sie noch, ihre Regel verspäte sich nur ein bisschen. Aber dann, eines Morgens im August, wird ihr übel und schwindlig, und da überläuft es sie kalt vor Schrecken.
Ihre Spione im kaiserlichen Schlafzimmer berichten, dass Elisabeth Ohnmachtsanfälle hat und dass sie Heiler aus den entferntesten Winkeln des Reichs kommen lässt. In Peters Umfeld, so erfährt sie, herrscht freudige Erwartung. Das Fräulein, das gerne eine grobe Sprache führt, soll gesagt haben, jetzt werde man bald »diese eingebildete deutsche Sau in den nächstbesten Schweinestall« sperren.
Das ist keine gute Zeit, ein illegitimes Kind zur Welt zu bringen.
»Heilige Mutter Gottes«, flüstert Warwara Nikolajewna, als sie die Neuigkeit erfährt.
»Wie lange ist Ihre Regel schon überfällig?«
»Einen Monat ⦠Bis jetzt weià es noch niemand, Warenka.«
Tränen laufen ihr über Wangen, Tränen der Verzweiflung. Was für eine Demütigung, was für eine Niederlage! Vielleicht ist es schon zu spät, irgendetwas zu unternehmen, vielleicht ist ihre Schmach längst entdeckt. Ein Leckerbissen für alle Klatschmäuler am Hof: Sie, die sich Hoffnungen auf die Krone macht, hat sich von ihrem Liebhaber schwängern lassen.
»Hören Sie auf, zu weinen, bitte.«
Warwaras Stimme macht sich im panisches Chaos vernehmbar. Tarnen und Täuschen ist harte Arbeit und erfordert präzise Planung. Eine Aufgabe für die engste Vertraute der GroÃfürstin. Warwara zählt an den Fingern die Monate ab.
Die Bauarbeiten im Winterpalast dauern immer noch an, überall herrscht Unordnung, die Verhältnisse am Hof sind unübersichtlich. Die GroÃfürstin könnte irgendein glaubwürdiges Leiden entwickeln, das sie hindert, bei offiziellen Anlässen zu erscheinen. Ihre FüÃe schwellen oft an. Rückenschmerzen? Die Geburt ist im April zu erwarten, bis dahin kann die GroÃfürstin ihren Bauch unter Pelzen und dick gefütterter Winterkleidung verstecken.
Die Zofen und Wäscherinnen werden jeden Monat etwas Blut an der Wäsche ihrer Herrin finden. Die Spuren morgendlicher Ãbelkeit wird Warwara beseitigen.
»Wenn ich sterbe, Warenka â¦Â«
»Sie werden nicht sterben. Sie sind gesund und kräftig.«
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Nur Grigori ist überglücklich. Er ist so stolz auf dieses Kind, das in ihrem Bauch heranwächst, das jeden Tag gröÃer wird, dessen kräftige Tritte er spüren kann. Ein Orlow, stark und tap
fer wie sein Vater uns seine Onkel. Nicht, bemerkt er grinsend, wie Saltykows Sohn, der vor seinem eigenen Schatten Angst hat.
*
»Wer für den Galgen geboren ist, kann nicht ertrinken.« Kaiserin Elisabeth keucht kurzatmig. Ihre runzligen Wangen sind krebsrot, ihre FüÃe wund und so aufgedunsen, dass das Fleisch aus den seidenen Pantoffeln quillt. »Glaub mir, Katharina«, sagt sie, »seinem Schicksal kann man nicht entkommen. Es ist wie ein Bluthund, der seine Beute am Ende immer aufspürt.«
Die alte sterbende Kaiserin schnalzt spöttisch mit der Zunge. »Du glaubst es nicht? Du willst mir das Gegenteil beweisen? Eine kleine deutsche Provinzprinzessin will sich mit mir anlegen?«
Die Zeit macht sonderbare Sprünge rückwärts und vorwärts gegen alle Vernunft. In dem neuen prächtigen Schlafzimmer, wo selbst der Geruch der frischen Farbe den Gestank des
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