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Die Zarin der Nacht

Die Zarin der Nacht

Titel: Die Zarin der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Stachniak
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sich verachtungsvoll.
    Sie meint Leutnant Grigori Orlow vom Ismailowski-Regi
ment, einen Helden der Schlacht bei Zorndorf, doch sie hat seinen Namen vergessen, und selbst wenn sie ihn noch wüsste, würde sie ihn nicht aussprechen. Für sie, eine geborene Woronzow, sind Leute wie die Orlows nichts weiter als Emporkömmlinge.
    Manchmal ist es besser, wenn man fremd ist. Wenn man gezwungen ist, nicht bloß mit verzogenen Prinzessinnen Freundschaft zu schließen, sondern auch mit denen, die erst noch vom Aufstieg träumen, die ihr Glück mit eigener Tüchtigkeit zu machen hoffen. Die niemals vergessen haben, dass es die Garderegimenter waren, die Elisabeth auf den russischen Thron gebracht hatten.
    Die Julitage sind heiß, sogar schon am Morgen, aber Katharina kann der Versuchung nicht widerstehen, einen Spaziergang durch die Gärten von Zarskoje Selo zu machen. Vielleicht wird sie danach nassgeschwitzt sein, doch die Bewegung wird ihr guttun. Sie wird dann nicht mehr so ungeduldig und rastlos sein und den langen Tag am Hof leichter ertragen.
    Katja hat sich bei ihr eingehakt. Der Druck ihres schlanken Arms ist ein bisschen zu fest, aber das nimmt Katharina in Kauf. Es ist ein kleiner Preis für das Vergnügen, mit Katja zu plaudern: Über Voltaires geistreiche Schriften, über die Dummheiten, die das Fräulein an der Tafel der Woronzows von sich gibt, über die Verachtung der Moskauer für Sankt Petersburg, das sie immer noch als eine bloße Garnisonsstadt betrachten, in der die ordinäre Gier alles beherrscht und der aufstrebende Dienstadel davon träumt, am Hof Karriere zu machen.
    Zum Glück redet Katja nie über ihre Kinder.
    Wie es der Zufall will, hält sich Grigori Orlow häufig zur selben Zeit in den Palastgärten auf, in der Katharina ihren Spaziergang macht. Sie hat den Verdacht, dass jemand ihm den Weg aufgezeichnet hat, den sie normalerweise nimmt, denn er taucht erstaunlich oft vor ihr auf, am Teich, bei den Buchsbaumhecken oder an der großen Eiche. Er ist nicht schüchtern: »Sie
sind meine Gefangene, Hoheit«, sagte er einmal. »So leicht bin ich nicht zu fangen«, entgegnete sie.
    Wenn man ihm gegenübersteht, wirkt er jedes Mal noch größer und schöner als in der Erinnerung. Kräftig gebaut und doch flink und elegant. Hart und zugleich geschmeidig. Er trägt den Kopf hoch. Seine Haltung ist untadelig. Sie hat nichts Künstliches an sich, sie ist der Ausdruck seines inneren Wesens. In seiner Gegenwart muss Katharina immer an einfache Dinge denken, an Flammen eines offenen Feuers in dunkler Nacht, an süße Honigtropfen. Sie hat das Gefühl, dass nichts, was an diesem Tag noch geschehen mag, ihr nahegehen kann.
    Er schlägt die Augen nicht nieder, wenn sie ihn ansieht. Schau nur, sagt sein Blick, betrachte ruhig meinen stahlgrauen Uniformrock, meine glänzenden Stiefel, den blinkenden Helm in meiner Hand. Gib mir ein winziges Zeichen, und ich werde meinen Weg zu dir finden.
    Warum zögerst du?
    Sie zögert nicht etwa, weil ihr der Gedanke, dass seine Hand sie streichelt, nicht gefallen würde. Nicht wegen der Briefe, die von ihrem Geliebten aus Warschau kommen, lange Briefe voller Zärtlichkeiten und Träume, die nie wahr werden können, weil er Sankt Petersburg verlassen musste und nie mehr zurückkehren darf.
    Sie zögert, weil sie die Großfürstin ist und weil sie nicht billig zu haben sein möchte. Was nichts kostet, ist nichts wert.
    Â»Wollen wir umkehren?«, fragt Katja und wirft dem Leutnant einen gereizten Blick zu, den er nicht einmal bemerkt.
    Â»Ja.« Die Großfürstin dreht sich um, und sie gehen weg. Katja Daschkowa redet weiter über ihre Schwester, diese unverschämte Person: Das Fräulein macht bereits Pläne, wie sie den kaiserlichen Schmuck umarbeiten lassen wird!
    Â»Wenn Sie nicht auf sich Acht geben, Katharina«, sagt sie, »werden Ihre Freunde es für sie tun.«
    Im kaiserlichen Kinderzimmer zeichnet der kleine Paul schup
pige Drachen, die Feuer speien und ungezogene Kinder auffressen. »Hast du schon einmal einen Drachen gesehen?«, hat sie ihn gefragt. »Oh ja, schon oft«, hat er geantwortet, »auf dem Korridor … unter dem Bett … in der Speisekammer.« Der Zarewitsch ist jetzt fünf Jahre alt. Warwara hat ihr erzählt, dass er immer noch Bettnässer ist und im Dunkeln nicht einschlafen kann.
    Der Held von

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