Die Zarin der Nacht
abschlieÃen und sich ihr Schweigen bezahlen lassen: Die GroÃfürstin soll schwören, dass sie den Thron für Paul Petrowitsch bewahren wird. »Das bist du mir schuldig, Katharina«, keucht Elisabeth, »dafür, dass ich dich nach Russland geholt habe.«
Als ob Katharina nicht schon genug bezahlt hätte.
»Tu alles, was nötig ist, Katharina. Verdränge Peter von der
Macht. Schick ihn zurück nach Holstein. Regiere das Reich, bis Paul volljährig ist. Bis mein geliebter Enkel Zar werden kann.«
Was wird sie tun, die sterbende Alte? Wird sie die GroÃfürstin vor dem Bildnis der heiligen Jungfrau von Kasan schwören lassen? Vor dem des heiligen Nikolaus des Wundertäters? Oder wird sie ihr damit drohen, sie noch nach ihrem Tod in diesen Räumen heimzusuchen, als Gespenst, als eine rachsüchtige Harpyie aus dem Hades?
Die Kaiserin weiÃ, dass auf Furcht â selbst wenn sie noch so wenig greifbare Substanz besitzt â allemal mehr Verlass ist als auf Güte. Oder Dankbarkeit .
»Es gibt Leute am Hof, Katharina, die wissen, was ich mir wünsche.« Ihre schwache Stimme dringt der GroÃfürstin bis ins Herz. »Sie werden dafür sorgen, dass Paul es nie vergisst. Und sie werden dich scharf im Auge behalten, wenn ich nicht mehr da bin.«
In der dunklen russischen Winternacht flüstert die Kaiserin, deren Macht zerrinnt: »Kennst du den Schwarzen Nachtschatten, Katharina? Die Beeren schmecken süÃ, aber eine kleine Handvoll davon bringt einen Menschen um.«
Vielleicht.
Vielleicht auch nicht.
»Sie beobachten dich, Katharina«, murmelt Elisabeth. »Sie beobachten dich sogar jetzt.«
*
Dieses Kind tut, was ihm gefällt: Es wacht auf, wenn sie sich zum Schlafen hinlegt, schlägt Purzelbäume in ihrem Bauch und turnt vergnügt herum, vollkommen unbekümmert um all die Gefahren, die seine bloÃe Existenz heraufbeschworen hat. In den ersten Monaten hoffte sie noch auf eine Fehlgeburt, aber das Kind eines Orlow verabschiedet sich nicht so einfach sang- und klanglos aus der Welt. Sein rücksichtsloser Lebenswille
hat etwas Ermutigendes, was indes nichts daran ändert, dass ihre Lage immer schwieriger wird. Es ist mittlerweile Dezember, und ihr gehen langsam die Vorwände aus. Ihre ständigen Hinweise auf geschwollene FüÃe und Migräneanfälle geben bereits Anlass zu allerlei spitzen Bemerkungen.
Wenn man ein solch gefährliches Geheimnis zu hüten hat, häuft man notgedrungen eine Menge Verbindlichkeiten an. Warwara erscheint jeden Tag in aller Frühe wie ein dienstbarer Geist, der vor Morgengrauen all die genau geplanten Aufgaben erledigt, die nötig sind, um den falschen Schein zu wahren. Jeden Monat macht sie fünf Tage lang Blutflecken in Unterwäsche und Laken der GroÃfürstin. Katharinas Bauch muss immer fester eingeschnürt, ihre Kleider müssen weiter gemacht werden. Nur hin und wieder am Abend, wenn alle Vorhänge zugezogen und die Schlüssellöcher mit Watte verstopft sind, löst Warwara die Bandagen und massiert ihr die straff gespannte Haut.
Sie ist immer müde. Auch während des Tages muss sie ständig gegen den Schlaf ankämpfen, der sie in dunkle Bewusstlosigkeit hinabziehen will. Manchmal nickt sie ein und weià nach dem Aufwachen nicht mehr, wo sie ist und in welcher Gefahr sie schwebt.
Noch fünf Monate. Noch vier.
Gegen Ende des Jahres klingen die Nachrichten, die Warwara bringt, zunehmend dramatisch. Die Kaiserin hat jetzt nicht mehr nur Ohnmachtsanfälle und Panikattacken. Die therapeutischen MaÃnahmen der Ãrzte deuten auf Verzweiflung hin: Sie versuchen jetzt, mit Hilfe von Kathetern das Ãbermaà an Galle abzuleiten, um so den Druck in dem aufgedunsenen Bauch der Kaiserin zu vermindern.
Ohne Erfolg.
»Es geht dem Ende zu«, flüstert Warwara. »Es ist so weit. Und sie hat mir aufgetragen, Sie zu ihr zu bringen.«
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Eng bandagiert, in weite rüschige Unterröcke gehüllt, betritt Katharina das kaiserliche Schlafzimmer. Obwohl zahlreiche dicke Wachskerzen brennen, wirkt der Raum düster. Um das Bett herum drängen sich schluchzende Damen, die keinerlei Anstalten machen, sie durchzulassen. Gräfin Schuwalowa wirft ihr einen Blick zu, aus dem blanker Hass spricht.
Die GroÃfürstin ist ihr dankbar dafür, denn dieser Blick ruft ihr noch einmal nachdrücklich ins Bewusstsein, worum es
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