Die Zarin der Nacht
liebkost ihr Ohrläppchen.
Ihrer beider Sohn, der kleine Alexej Grigorjewitsch, wächst schnell. Ein gesunder Junge â liest sie in den wöchentlichen Berichten â, robust und kräftig. Sobald er alt genug ist, wird
sie ihn in den Palast holen und die allerbesten Erzieher einstellen.
Â
Es ist nicht das erste Mal, dass Grigori Orlow unangemeldet in ihr Arbeitszimmer gekommen ist, sich auf das kleine Sofa gesetzt, in ihren Papieren geblättert, Landkarten aufgerollt oder weggenommen hat. Sie daran erinnert hat, dass ein Hecht im Teich die Karpfen in Bewegung hält. Er will damit sagen, dass Soldaten Kriege brauchen, weil sie sonst fett werden und vergessen, wofür sie da sind. Im Krieg kann ein Mann sich auszeichnen, Karriere machen, sein Schicksal selbst in die Hand nehmen. Wenn die Leute nichts zu tun haben, kommen sie leicht auf dumme Gedanken.
Er erwähnt das nur, weil Katinka eine Frau ist. Eine Frau braucht Hilfe und Rat.
Die Orlows haben sie zu dem gemacht, was sie ist, aber sie muss aufpassen, dass die Orlows nicht zu einem Klotz an ihrem Bein werden. Panin, der nach wie vor der Meinung ist, sie hätte Paul zum Kaiser und sich selbst zur Regentin erklären sollen, hat einmal gesagt: »Eine Madame Orlow wird nie Russland regieren.« Nikita Iwanowitsch Panin ist der Erzieher ihres Sohnes und ein kluger Kopf, dessen Fähigkeiten sie zum Nutzen des Reichs verwenden will. Darum hat sein Wort Gewicht.
Die Orlows mögen noch so stolz durch die Gänge des Winterpalasts schreiten, so sind sie doch in den Augen der Aristokraten aus altem Adel nichts als Parvenüs, die, um es mit Katja Daschkowas Worten auszudrücken, noch vor wenigen Monaten keine andere Gesellschaft kannten als die von Krämern und Soldaten und die man schleunigst wieder dahin zurückschicken sollte, wo sie hergekommen sind.
Katharina hält Grigoris Finger fest.
»Jetzt nicht«, murmelt sie. »Lass mich in Ruhe arbeiten.«
Er wirft ihr einen verdutzten Blick zu, als hätte sie etwas vollkommen Absurdes gesagt.
»Ich muss das alles hier noch lesen.« Sie deutet auf einen Kasten voller Papiere, der auf einem Beistelltischchen steht. Die Hofhaltung kostet eine Million und einhunderttausend Rubel pro Jahr, der Haushalt der Kaiserin neunhunderttausend. Allein für die Stallungen müssen jährlich einhunderttausend Rubel aufgebracht werden.
»Hast du keine Buchhalter?« Grigori verdreht die Augen. »Gibt es niemanden, dem du vertraust?«
Aus Warschau schreibt Stanislaw: Lass mich bei dir sein in welcher Funktion auch immer, nur mach mich nicht zum König ⦠Eine Liebe wie die meine zu dir gibt es nur einmal im Leben ⦠Was bleibt mir noch? Das Leben ohne dich ist nur eine leere Hülse â¦
Die Briten haben Friedrich ein Bündnisangebot gemacht, das für PreuÃen vorteilhafter ist als das des russischen Reichs. Er gibt zu verstehen: Wenn ihr meine Unterstützung gegen die Türken haben wollt, dann gebt mir etwas, das wirklichen Wert besitzt. Er meint damit Land. Felder, Städte, Flüsse.
»Lass mich noch einen Brief fertig schreiben.«
»Nein«, sagt Grigori, »du hast genug gearbeitet.«
Das ist eine ganz triviale Meinungsverschiedenheit, aber es ist ein wichtiger Moment. In Grigoris Stimme klingt ein neuer harscher Ton. Hat ihm jemand gesagt, er muss sich stärker behaupten? Das Feuer austreten, solange die Flämmchen noch klein sind?
»Ãberlass es mir, zu entscheiden, wann es genug ist«, sagt sie. Ihre Worte lassen einen Spalt offen, durch den Gelächter sich einschleichen kann. Noch können sie diesem Gespräch eine Wendung ins Scherzhafte geben, es zu einem neckischen Disput über Pflicht und Lust machen.
»Nein, Katinka, ich weià besser, was du brauchst.«
Seine Lippen werden fordernd. Seine Zähne fassen ihre Haut. Seine Hand schlüpft in ihren Ausschnitt, kneift ihre Brustwarze. Ein bisschen zu fest.
»Hör auf«, sagt sie.
Er hört nicht auf. Seine Hand taucht tiefer hinab.
»Nein!«
Ihr Ton ist scharf, aber sie ist noch nicht zornig. Sie will ihn nur warnen. Er soll sich zurücknehmen, sie mit einem bedauernden innigen Kuss besänftigten, dessen SüÃigkeit sie noch lange schmecken wird, wenn er gegangen ist.
Aber er ist Grigori Orlow. Ein Draufgänger. Ein Teufelskerl. Gib nach, sagen seine Hände. Du wirst es nicht bereuen. Du hast es noch
Weitere Kostenlose Bücher