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Die Zarin der Nacht

Die Zarin der Nacht

Titel: Die Zarin der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Stachniak
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Migräneanfall an.
    Â»Ich habe jetzt keine Zeit, mich mit ihm zu befassen«, sagt sie.
    Aber sie kann nicht so tun, als existierte Peter nicht. Schreiben, die von fremden Höfen eintreffen, sind an ihn adressiert. Auf ihrem Schreibtisch liegen noch kaiserliche Erlasse, die er unterzeichnet hat, Entwürfe und halbfertige Briefe von seiner Hand. Auch Briefe, die er ihr aus Ropscha geschrieben hat, wo er, bewacht von Alexej Orlow, gefangen gehalten wird. Er unterzeichnet sie mit Ihr sehr ergebener, gehorsamer Diener . Er bittet darum, mit dem Fräulein nach Deutschland abreisen zu dürfen. Seine Frau und Gebieterin, schreibt er, möge ihn nicht wie einen Verbrecher behandeln, er habe ihr nie etwas Böses getan. Er appelliert an ihre Großmut:
    Â 
    Ich ersuche Eure Majestät, sie möge den Offizieren befehlen, mich allein zu lassen, wenn ich mich erleichtern muss, denn in ihrer Anwesenheit ist es mir unmöglich …
    Â 
    In der Erinnerung wechseln Wesen und Dinge ihre Gestalt. Eine fliehende Nymphe verwandelt sich in einen Baum, ein eitler Mann in eine Blume. Immer schärfer werden die Konturen der Bilder, je öfter sie wiederkehren. Peters mit Pockennarben übersätes Gesicht. Er schreit: »Nein, nein! Dumme Schlampe!«
    Â 
    In Ropscha gibt es einen kleinen See. Kaiserin Elisabeth hat dort gern geangelt. Man hat Peter einen kleinen Raum im Erdgeschoss zugewiesen. Einen Raum mit einem Bett und einem Schreibtisch. Und ein Fenster, dessen Läden geschlossen sind.
    *
    Sie empfängt im Thronsaal Gratulanten und Bittsteller, aber die beiden Kategorien sind nicht voneinander zu trennen. Es ist der fünfte Tag nach dem Staatsstreich, ein Sonntag. Sie hat nur wenige Stunden geschlafen und hätte kaum etwas gegessen, wenn nicht ihre Hofdamen sie genötigt hätten.
    In ihren Schläfen pocht es bei jedem Schritt auf dem glänzenden Parkett. Man hat sie in aller Eile frisiert; sie hat jedes Mal, wenn sie den Kopf bewegt, das Gefühl, dass der Perlenschmuck in ihrem Haar verrutschen könnte. Sie hatte sich an die bequeme Preobraschenski-Uniform gewöhnt und empfindet nun die Hofgarderobe als unangenehm. Das Mieder ist zu eng, der Rock mit seinen üppigen Falten behindert sie beim Gehen.
    Â»Ihre Majestät braucht Ruhe«, sagt Warwara. »Wenigstens eine Stunde. Ein Bett steht bereit. Ich habe die Vorhänge zugezogen, damit das Licht Sie nicht stört.«
    Die Vorstellung ist verlockend: Die müden Augen zu schlie
ßen, die Gedanken sich setzen zu lassen wie Staub auf einer sommerlichen Landstraße, den eine Kutsche aufgewirbelt hat.
    Einen Moment Ruhe, Stille. Allein in einem dunklen Raum.
    Die Tür geht auf, ein Bote aus Ropscha tritt ein. Er ist verdreckt und vom Regen durchnässt, schmutziges Wasser tropft von seinem Uniformrock auf den Parkettboden. »Für die Kaiserin persönlich«, sagt er und zieht einen Umschlag aus seiner Brusttasche.
    Ein Blatt steifes Papier, gesiegelt mit dem Wappen der Orlows. Ein Adlerschnabel, der an eine Katzenpfote erinnert.
    Alexej Orlows Handschrift, dicht gedrängte, manchmal kaum leserliche Buchstaben, wie von einem Schulbuben hingekritzelt. Sie überfliegt die Seite, versucht angestrengt, sich einen Reim auf das zu machen, was da geschrieben steht. Matuschka … auf Ihre Gnade … wie kann ich erklären … ich bin bereit, zu sterben … was geschehen ist.
    Ein Unglück? Ein Streit, der außer Kontrolle geraten ist?
    â€¦ er lebt nicht mehr …
    Worin besteht Schuld? In bloßen Gedanken, die nie nach außen dringen und nie die Form von Befehlen angenommen haben? Macht allein der Wunsch einen Menschen zum Mörder?
    Â 
    Eine weiße Nacht geht nahtlos in die Morgendämmerung über. In der Luft hängt noch der Geruch der Freudenfeuer, der gebratenen Ochsen und Schweine. Vor dem Palast lärmen fröhliche Zecher. Man hört Leute krakeelen und streiten und laut rülpsen. »Nächsten April wird es eine Menge neugeborener Kinder geben«, hat Warwara gesagt und gelacht.
    Die Kutsche, in der man Peters Leichnam hergebracht hat, steht im Hof. Die neue Kaiserin hat sich einen Schal über die Schultern gelegt und sich leise hinuntergeschlichen. Der Schal ist rostrot und mit einem Blumenmuster verziert; Tulpen mit Zwiebeln und Blüten, einige schon welk.
    Sie blickt auf das Gesicht ihres Mannes, argwöhnisch, als
rechnete sie damit,

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