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Die Zarin der Nacht

Die Zarin der Nacht

Titel: Die Zarin der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Stachniak
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König. Wer ein Reich regiert, muss solche Verhältnisse klar erkennen, denn sie eröffnen Gelegenheiten. Deine Schwäche ist meine Stärke. Dein Niedergang ist mein Aufstieg.
    Das Reich muss wachsen.
    Worauf vertrauen die Schwachen? Auf Gott? Auf das Glück? Auf die Vorsehung?
    Polen ist bereits ein Vasall Russlands, ein Aufmarschgebiet für russische Truppen, und so soll es bleiben. In Polen werden die Könige gewählt, und Katharina möchte, dass Stanislaw König wird. Er kann nicht mehr ihr Geliebter sein, aber sie meint es immer noch gut mit ihm. Sie hat es ihm versprochen und will ihr Wort halten. Und es gibt noch andere Überlegungen. Stanislaw ist weder reich, noch kann er sich auf die Unterstützung zahlreicher enger Verbündeter verlassen, weswegen er gezwungen sein wird, allerlei Kompromisse zu machen, wenn er am Leben bleiben will. Und wenn er König ist, wird das auch seinen närrischen Plänen, zu ihr nach Sankt Petersburg zu kommen, ein Ende setzen.
    Solche Gedanken machen ihr Freude. Sie verteilt Geschenke, die den Beschenkten an sie binden. Wenn du tust, was ich will, wirst du aufsteigen in der Welt. Wenn du dich gegen mich stellst, wirst du untergehen.
    Kaiserliche Gedanken.
    Alexej Orlow führt sie durch die Werft, wo sie neue Schiffe in verschiedenen Stadien des Baus besichtigt. Sie kommen ihr vor wie Skelette riesiger Tiere, die wieder zum Leben erweckt werden sollen. »Wir brauchen eine starke Flotte, um die Türken zu besiegen«, sagt er und streicht über einen frisch geglätteten Mast.
    Seine Stimme klingt völlig unbefangen. Für eine Weile hatte er sich, nachdem sie ihn von aller Schuld an Peters Tod freigesprochen hatte, aus Sankt Petersburg zurückgezogen. Jetzt ist er wieder da und strotzt nur so vor Energie und Tatkraft. Grigori bringt ihn oft mit in die kaiserlichen Privatgemächer. Alexej achtet darauf, dass sie ihn immer im Sichtfeld hat. Er wendet den Blick nicht ab, wenn Grigori in einem der seltenen Momente der Muße Katharinas Fußsohlen oder Zehen mit einer Straußenfeder kitzelt.
    Peter III ., so hieß es in einer offiziellen Verlautbarung, sei eines natürlichen Todes gestorben. An einer »Hämorrhoidalkolik«. Im Newski-Kloster, wo der Leichnam aufgebahrt wurde, zogen in langen Reihen die Untertanen vorbei, um von dem Herrscher Abschied zu nehmen. Die Spione berichteten, dass der Schal, der seinen Hals verdeckte, bisweilen Anlass zu getuschelten Kommentaren gab. Einige ausländische Gesandten rissen geschmacklose Witze über die Gefährlichkeit der russischen Hämorrhoiden. Bemerkenswert, aber nicht weiter von Bedeutung.
    Sie denkt nicht oft an Peter. Manchmal träumt sie von ihm, ein Bild ohne Zusammenhang, ein paar Worte aus der Dunkelheit, aber solche Träume hinterlassen kaum mehr als ein leichtes Gefühl von Abscheu. Alle seine Porträts sind mittlerweile
abgehängt worden, sein Name ist aus allen amtlichen Dokumenten getilgt, seine kaiserlichen Dekrete wurden aufgehoben oder in Katharinas Namen noch einmal erlassen. Ihre Gesandten schreiben immer noch fleißig alles auf, was an fremden Höfen über ihren Putsch geredet wird, aber es lässt sie inzwischen kalt, wenn sie hört, dass Maria Theresia sie eine Mörderin genannt oder irgendein Pariser Schmierfink sie mit Messalina oder Livia verglichen hat. Ein Brief an Voltaire, gespickt mit Komplimenten und begleitet von einem kaiserlichen Geldgeschenk, trägt mehr dazu bei, ihr Renommee im Ausland aufzubessern, als alle Proteste ihrer Diplomaten.
    Man redet immer von der Eitelkeit der Frauen, aber die Männer sind um kein Haar besser. Wenn man ihnen zu schmeicheln versteht, schmelzen ihre Herzen nur so dahin. Man staune vor dem Genie eines großen Mannes, man bewundere seine Gelehrsamkeit, sein Raffinement, seinen beißenden Witz. Ah, was für ein Geschichtsverständnis! Diese Menschenkenntnis! Es ist schon merkwürdig: Da liest man Bücher, die dem Menschengeschlecht zur Ehre gereichen, und dann muss man mit ansehen, wie wenig die Menschen die Lehren dieser Schriften in die Tat umsetzen.
    Grigori Orlow nennt Maria Theresia eine alte Krähe. »Ist es wahr, Katinka, dass sie Garn für ihr eigenes Leichentuch spinnt?«
    *
    Â»Jetzt können wir heiraten, Katinka.«
    Sie sitzt an ihrem Schreibtisch, Grigori Orlow beugt sich über sie. Seine Finger wandern an ihrem Hals hinunter, seine heiße Zunge

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