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Die Zarin der Nacht

Die Zarin der Nacht

Titel: Die Zarin der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Stachniak
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noch leise, als wäre eben jemand heruntergesprungen, aber es ist niemand in der Nähe.
    Sie trägt ein prächtiges Kleid aus rosa Satin, ihr Hut ist mit langen weißen Federn geschmückt. Sie ist eine üppige Schönheit mit rosigen Wangen, eine Göttin der Morgenröte. Sie setzt sich auf die Schaukel und beginnt zu schwingen, wiegt den Oberkörper vor und zurück.
    Er dauert eine Weile, bis sie genügend Schwung hat, aber als die Schaukel sie dann so richtig hoch hinauf trägt, genießt sie es in vollen Zügen. Die Luft streichelt ihre Wangen, lässt ihr Kleid flattern, droht ihr den Hut vom Kopf zu wehen.
    Und da sieht sie ihn, den Mann im Schatten. Er beobachtet sie. Halb versteckt im Grün, fast unsichtbar. Er ist nicht so groß und kräftig wie Grigori Orlow, aber etwas an ihm zieht ihren Blick magnetisch an. Die Art, wie er vollkommen bewegungslos dasteht? Ist es die Aura des Geheimnisvollen, die sie lockt?
    Was immer es sein mag, sie möchte, dass er auf sie aufmerksam wird. Darum verliert sie absichtlich einen Schuh. Sie hat einen schlanken Fuß mit hohem Spann. Ihre Haut ist alabasterweiß.
    Schau her, signalisiert sie ihm mit einem aufreizenden Lächeln. Ich bin ein launisches Geschöpf. Was mir heute gefällt,
verschmähe ich morgen. Nutze die Gelegenheit, wenn du kannst, vielleicht kommt sie nicht wieder.
    Sie kann fast fühlen, wie es in seinem Körper zuckt. Es ist der Körper eines Reiters, der die wildesten Pferde zähmen kann.
    Er murmelt etwas. Seine Stimme ist zuerst ganz leise, aber dann kann sie hören, was er sagt, so klar und deutlich, als flüsterte er es ihr ins Ohr: Ich werde dich so weit bringen, dass du ohne Grund zu weinen anfängst, dass dir vor Schatten graut, die außer dir niemand sieht.
    Sie kennt diese Stimme. Der so spricht, ist Grigori Potjomkin, Grischenka.
    Ohne ihn ist nichts gut genug.
    *
    In den hitzigen Stunden des Putschs hatte der Feuereifer des Fremden sie beeindruckt. Abertausend bewundernde Augenpaare, abertausend erhobene Hände, segnend oder Treue schwörend, aber nur ein einziger Mann, der ihr Dilemma begriff.
    Die geliehene Preobraschenski-Uniform passt ihr wie angegossen, ein blanker Säbel schimmert in ihrer Hand. Pferde wiehern; Sporen klirren. Die Menge, die seit Stunden auf sie wartet, jubelt begeistert. Betrunken von der Beute aus den Schenken, aufgeputscht von den Hoffnungen und Ambitionen, die eine unerbittlich helle weiße Juninacht geweckt hat. Gerade will sie ihr Pferd besteigen, da bemerkt sie, dass ihre dragonne, ihr Portepee, nicht da ist.
    Ein Gardeoffizier kommt herbeigaloppiert, reißt die dragonne von seinem Säbel und reicht sie ihr. Mit einer anmutigen Verbeugung. Sie sieht ein längliches, empfindsames Gesicht, ein gekerbtes Kinn, einen dichten rotbraunen Haarschopf. Hinter ihr drängt Katja Daschkowa mit ihrer piepsigen Stimme zur Eile. Peter ist immer noch der Zar, wenn auch nur dem Namen
nach. Jetzt darf nicht gezögert werden. Es ist noch nicht alles entschieden.
    Doch der berittene Gardeoffizier, der ihr sein Portepee gereicht hat, weigert sich, ihr von der Seite zu weichen. Sein Pferd flankiert ihres, Knie an Knie. »Majestät mögen mir meine Kühnheit verzeihen«, murmelt er. »Ich kann sie nicht zügeln.«
    Ein Pferd kann ich zügeln, die Kühnheit meines Herzens jedoch nicht, verraten ihr seine funkelnden Augen.
    Â 
    Unteroffizier Grigori Potjomkin ist, wie sie bald erfährt, ein Niemand. Einer der vielen, die bereit waren, den Orlows zu folgen. Für seine Dienste ist er belohnt worden. Wurde zum Leutnant befördert und mit einem Geschenk von sechshundert Seelen oder achtzehntausend Rubel bedacht. Er durfte wählen.
    Sie nennen ihn Grischa.
    Â»Wie alt ist er?«, fragt sie.
    Dreiundzwanzig.
    Grischa Potjomkin, niederer Adel aus Tschischowo. Ein Junge aus der Provinz. In einer dörflichen banja aus dem Schoß seiner Mutter geglitten, während sein Vater zusammen mit seinen Leibeigenen das Erbe vertrank. Grischa Potjomkin, der mit Bauernjungen barfuß durch die Wiesen lief. Der Rote Bete in der Glut von Lagerfeuern röstete, rohe Rüben aß, Kerne aus Sonnenblumenköpfen pulte. Ein Messdiener mit hochfliegenden Vorstellungen von Größe, die – so glaubt er – ihn so sicher erwartet, wie der Frühling auf den Winter folgt. Intelligent, ja, aber wie sein beleibter Vater, auch faul und

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