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Die Zarin der Nacht

Die Zarin der Nacht

Titel: Die Zarin der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Stachniak
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Leute bringen viele Gründe vor, warum das, was da geschrieben steht, nicht für sie gelten kann. Russland liegt im Norden. Ja, in südlichen Ländern kann man die Leibeigenschaft aufheben, doch im kalten Klima des Nordens arbeiten die Bauern nur unter Zwang. Wer aber soll sie zwingen, wenn nicht
der Adel? Der Staat? Unmöglich, Russland ist zu groß. Darum darf man den Adel nicht der Mittel berauben, die er braucht, um seine Herrschaft über die Bauern ausüben zu können, so wie er es seit jeher getan hat.
    Die Bauern sind euer Eigentum, denkt sie. Sklaven, die nicht einmal ihre Seele besitzen. Und die Mittel eurer Herrschaft sind die Knute, die Streckbank, der Galgen.
    Sie reden von gottgegebener Macht. Davon, dass alles so bleiben soll, wie es immer war. Die Panins, Scherementjews, die Rumanzews, die Daschkows. Sie sprechen nicht aus, dass sie keine von ihnen ist, aber man sieht ihnen an, dass sie so denken. Das deutsche Streben nach Ordnung und Klarheit ist lobenswert, aber man kann doch nicht eine Einheitskleidung für zwanzig verschiedene Völker mit jeweils eigenen Sitten und Religionen entwerfen.
    Die Provinzen wollen mehr Macht? Die Lokalverwaltungen möchten mehr Selbständigkeit?
    Politik ist ein kompliziertes Spiel, das viele Künste erfordert. Eine davon ist die, zu beobachten und zu lernen. Man rührt die Brühe um und schaut, was mit dem Schaum nach oben schwimmt.
    Alle Bürger sind frei im Rahmen der Gesetze?
    Wenn das so ist, dann werden Kaufleute Leibeigene besitzen wollen, und der Landadel wird dagegen protestieren. Landbesitzer werden Handel treiben oder Manufakturen errichten wollen, und die Kaufleute werden dagegen protestieren. Angehörige der alten Aristokratie werden sich dagegen wehren, dass ihnen Leute gleichgestellt werden, die erst vor kurzem geadelt worden sind. Die Staatsbauern würden, wenn ihnen der Rechtsweg offenstünde, endlos ihre Klagen gegen Nachbarn, die ihre Zäune beschädigt oder deren Kühe ihr Heu gefressen hatten, wiederholen und müssten unablässig Schmiergelder an arrogante Beamte zahlen, ohne je in ihrer Streitsache voranzukommen.
    Ãœberall nur Trägheit und Geldgier.
    Sie hat jedem Abgeordneten ein Exemplar ihres nakas geschenkt. Mittlerweile haben so viele es verloren oder verschlampt, dass die Kommission beschlossen hat, vorerst nicht mehr zusammenzutreten und lieber darauf zu warten, dass eine neue Auflage gedruckt wird. Sie hat ihnen Medaillen überreicht, die an das große Ereignis erinnern sollen. Sie haben sie verkauft und den Erlös vertrunken. Als hätte sie sie dafür bezahlt, zu beweisen, dass jede Initiative vereitelt, jede gute Idee ihres Sinns entleert und zum Gespött gemacht werden kann.
    Wilde Gerüchte machen die Runde. Warum will die Kaiserin die Leibeigenschaft abschaffen? Warum will sie die bewährten Strukturen zerstören?
    Will sie die Fundamente Russlands untergraben?
    Ist es Naivität oder Hybris? Oder nur weibliche Logik?
    Den Bauern ist nicht zu trauen. Gib ihnen einen Finger, und sie nehmen die ganze Hand und sind immer noch nicht zufrieden. Mach sie von ihren Ketten los, und sie schlitzen dir die Kehle auf.
    Das Einzige, worauf sich die Delegierten einigen können, ist, ihr den Beinamen »die Große« zu verleihen und den Ehrentitel einer »Allweisen Mutter des Vaterlandes«. Sie entgegnet, sie sei erst seit fünf Jahren Kaiserin und habe eine so hohe Auszeichnung nicht verdient. Gleichwohl gefällt ihr diese Geste: Es ist jetzt keine Rede mehr davon, dass sie eigentlich nur als Regentin herrschen und abtreten sollte, sobald Paul volljährig ist.
    Auch in ihrer Moskauer Residenz geht es drunter und drüber. Der Oberhofmeister, der hier die Aufsicht über den kaiserlichen Haushalt führt, ist vollkommen überfordert. Schon ein einfaches Abendessen gerät zu einer Demonstration der Inkompetenz, überall nur Wirrnis und schlechte Improvisation. Kuchen, die nicht aufgegangen sind, verdorbenes Fleisch, gewürzt mit Unmengen von Muskatnuss, um den Geruch zu überdecken. Pannen aller Art, die Skala reicht vom Tragischen –
ein Koch, der einen Zuckerdieb auf frischer Tat ertappt hat, wird erstochen – bis zum Grotesken – in einer Kanne mit Sahne schwimmt ein ertrunkener Igel.
    Ein solches Maß an Schlamperei und Unfähigkeit ist ohne Wodka gar nicht möglich, hört sie jemanden sagen.
    Vor der Tür ihres

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