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Die Zarin der Nacht

Die Zarin der Nacht

Titel: Die Zarin der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Stachniak
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Brüder, Cousins, sogar seine alten Dienstboten, in deren zahnlosen Mündern sich Bitten mit Speichel mischen. Er möchte sie sehen, ein letztes Mal, seine geliebte Matuschka, die einzige Freude seines Lebens. Nur einmal noch. Wie könnte sie ihm das verweigern nach allem, was sie und ihn verbunden hat? Wie könnte sie so grausam sein?
    Die Stimme ihres ängstlichen Liebhabers zittert. Alexander Wassiltschikows Körper riecht ein wenig nach altem Käse. Er hat sie seit drei langen Tagen nicht gesehen. Sie hat seine letzten Fragen nicht beantwortet. Sie ist einfach gegangen, während er noch sprach.
    Die Erinnerung an seine Berührung verliert sich. Liebesstunden sind für Zärtlichkeiten da, nicht für Vorwürfe.
    Mein Fehler, denkt sie. Aus purer Verzweiflung.
    Hätte sie lieber nicht auf Panin hören sollen? Hätte sie stattdessen nach ihm schicken sollen?
    Er, Potjomkin, ist an der türkischen Front. Alles, was über ihn gesagt wird, weiß sie längst. Die Natur hat Grischa zu einem russischen Bauern gemacht, und er wird sich nie ändern. Er fürchtet böse Vorzeichen. Hängt sich an Gauner und Scharlatane. Kaut rohe Rüben. Ist launisch. Träge. Nachlässig. Eitel.
    Wieso schließt er dann schneller Freundschaften, als Kwass Fliegen anzieht?
    Auf ihrem Schreibtisch stapeln sich Briefe, Angebote, Petitionen, Vertragsentwürfe, die sie prüfen und korrigieren muss,
Berichte zur Seidenfärberei, ein Gutachten zur geplanten Gründung einer Porzellanmanufaktur, Zusammenfassungen von Büchern, die zu lesen sie keine Zeit findet. Fünf Sekretäre arbeiten rund um die Uhr, und doch geht die Flut von Papieren nicht zurück. »Glaubst du immer noch, du bist mir überlegen, Katharina?«, sagt die Stimme der verstorbenen Kaiserin Elisabeth spöttisch. »Glaubst du immer noch, du kannst alles allein schaffen?«
    *
    Leutnant Potjomkin erscheint unangekündigt bei Hof und wirft sich ihr wieder einmal theatralisch zu Füßen. Die Hofdamen weichen zurück bis an die Wände des Raums, verschmelzen mit den Tapeten, auf denen Nymphen vor Verfolgern fliehen und Jäger mit Pfeil und Bogen riesige Hirsche erlegen.
    Ein schmales, blasses Gesicht. Eine schwarze Klappe über dem linken Auge. Ein Zyklop . Grigori Orlows alter Spott fällt ihr wieder ein. Wie sie inzwischen weiß, decken Schmiede ein Auge ab, um die Erblindungsgefahr durch fliegende Funken wenigstens zu begrenzen.
    Dasselbe gekerbte Kinn, die vollen Lippen. Nicht mehr jung, sondern ein Mann, hart geworden von der Härte des Lebens. Angegriffen vom zahlenmäßig überlegenen Feind, war er der Held des Siegs.
    Nach zwölf langen Jahren immer noch in sie verliebt.
    Sie sehen meine Leidenschaft. Sie werden Ihre Wahl nie bereuen. Ich bin Ihrer kaiserlichen Majestät Untertan und Sklave.
    Also gut, denkt sie. Ich werde mich nicht mehr dagegen sträuben. Im Geiste hat sie den schüchternen Liebhaber schon seit einiger Zeit abgefunden. Ein Landgut, eine großzügig bemessene Pension, ein paar nette Kleinigkeiten aus der letzten Lieferung Pariser Luxuswaren. Wie lang wird es dauern, Was
siltschikows Zimmer zu räumen? Einen Tag? Einen weiteren für Grischas Einzug. Ihr erstes Geschenk für ihn hält sie schon bereit: eine Beförderung.
    Dass diese Dinge sich so einfach arrangieren lassen, ist wie ein leichtes Kitzeln mit einer Straußenfeder.
    Â»Stehen Sie auf, Generalleutnant Potjomkin«, sagt sie. »Ihre Kaiserin ist überaus dankbar für alles, was Sie für Russland getan haben. Sie sind ihrem Herzen sehr, sehr teuer.«
    Zu ihrer großen Belustigung steht er unbeholfen auf und wirft ihr einen gequälten Blick zu: »Warum weist meine Herrscherin mich zurück?«
    Â»Ich weise Sie zurück?« Hat sie ihm nicht ein Zeichen ihrer Gunst gegeben? Kann es sein, dass sie sich missverständlich ausgedrückt hat? Aber tief im Innern weiß sie, dass er ihre Gedanken erraten hat und dass ihm das, was sie ihm zugesteht, nicht genügt.
    Sein gutes Auge lässt sie nicht los.
    Er schüttelt sein kastanienbraunes Haar. Er verachtet Ziererei. Ihm liegt nichts an der Beförderung, aber da die Kaiserin ihn nun zum Generalleutnant erhoben hat, wird er in den Süden abreisen, um sich die Ehre, die ihm zuteil geworden ist, zu verdienen. Er dankt Gott, dass der Friede mit dem osmanischen Reich noch nicht geschlossen ist. An der

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