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Die Zarin der Nacht

Die Zarin der Nacht

Titel: Die Zarin der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Stachniak
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leidenden Ausdruck im länglichen Gesicht. Nach und nach wird er die Leerstelle seiner Abwesenheit wieder auffüllen. Immer noch verwegen, immer noch ungeduldig, immer noch unzufrieden mit dem, was sie ihm geboten hat.
    Fest darauf hoffend, dass das Glück sich ihm zuwendet und das Unmögliche möglich macht.
    *
    Schon seit längerer Zeit schaut der osmanische Sultan mit Sorge nach Norden. Seine Gesandten werben in Paris, in Wien, in Berlin um Unterstützung, machen Versprechungen. Hinter verschlossenen Türen werden, wenn auch vorerst nur auf dem Papier, Grenzen zum Nachteil Russlands verschoben. Vielleicht könnte ein Zugang zum Schwarzen Meer Maria Theresia locken? Was müsste man Friedrich von Preußen anbieten, damit er einlenkt?
    Im Jahr 1768, während russische Truppen noch gegen aufständische Polen kämpfen, erklären die Türken dem Reich den Krieg.
    Beim Kriegsrat ist selbst die Kaiserin nur eine Frau, die man umschmeichelt, beschwatzt, bedrängt, berät, der man aber immer zu verstehen gibt, dass sie auf Männer hören soll, die das militärische Handwerk verstehen. Sie kann mit Preußen und Österreich verhandeln, ihre Unterstützung zu gewinnen suchen. Ihre Generäle, Feldmarschalle, Leutnants und gemeinen Soldaten reiten auf die Schlachtfelder, hauen mit ihren Säbeln drein, schmecken das Schießpulver, wenn sie mit den Zähnen das Papier der Patronen aufreißen. Sie frieren im Winter in ihren Unterständen und schwitzen in der sommerlichen Hitze. Sie vernichten die türkische Flotte, stürmen Festungen, erobern fruchtbare Landstriche.
    Sie werden als Helden heimkehren.
    Grigori Orlows Schritte haben einen neuen Schwung, in seiner Stimme klingt neue Selbstsicherheit. Er steht jeden Tag früh auf und eilt zu den Ställen, wo sein Pferd schon aufgezäumt und gesattelt bereit steht für den morgendlichen Ausritt. In seinem Vorzimmer wartet eine kleine Armee von Bittstellern auf
seine Rückkehr. Lauter junge tapfere Männer, die von Eroberungen träumen, voller Ungeduld, ihr Glück auf die Probe zu stellen.
    Monsieur Pompadour in rosa Pantoffeln? Ein Adler in einem goldenen Käfig? Er muss lauthals lachen, wenn sie ihn daran erinnert, wie verächtlich er über sich selbst gesprochen hat. Es ist alles so einfach: Ein Soldat ist kein Höfling, er braucht das Abenteuer der Schlacht, die Herausforderung, den Kampf.
    Er wird bald weg sein, denkt sie und wundert sich darüber, dass sie bei dem Gedanken nicht mehr Trauer empfindet. Eine Trennung wird uns beiden guttun.
    Grischa Potjomkin hat, wie sie feststellt, ebenfalls darum ersucht, an die türkische Front versetzt zu werden. Ich kann Ihrer Majestät nur dadurch meine Dankbarkeit erweisen, dass ich, Ihnen zum Ruhme, mein Blut vergieße … Ich kann nicht im Müßiggang leben.
    Â»Was ich mir mehr als mein Leben wünsche, kann ich nicht haben«, soll Potjomkin ihren Spionen zufolge gesagt haben. »Männer haben schon aus weniger hehren Gründen mit dem Tod gespielt.«
    *
    Das lange Halbdunkel der Dämmerung, Stunden voller Angst und Pein.
    Wenn die Liebe vergeht, ist das ein Verlust, und sie will nicht verlieren. Sie ruft sich die Briefe in Erinnerung, die Grigori ihr aus Moskau geschickt hat, als dort die Pest wütete und die Angst Menschen in wilde Tiere verwandelte. Seine Strategie zur Bekämpfung der Seuche war einfach und eisern konsequent. Er ließ ganze Stadtviertel, in denen Schmutz und Elend herrschten, niederbrennen. Er ordnete an, dass alle Wohnungen mit Essigwasser und Räucherungen desinfiziert wurden. Niemand durfte die Stadt verlassen, Kranke wurden in Quarantäne ge
halten. Versammlungen aller Art wurden verboten. Gesetz und Ordnung, schrieb er. Präzise Regeln. Strenger Gehorsam. In ihrem eigenen Interesse.
    Damals war sie stolz auf ihn, oder nicht?
    Und ist sie nicht jetzt auch stolz auf ihn, da er fern von ihr an der Donau mit den geschlagenen Türken einen Friedensschluss aushandelt?
    Â»Treulos, grob, strohdumm.« Panin zählt Grigori Orlows Fehler und Defizite an seinen dicken weißen Fingern auf. Es ist immer wieder dasselbe mit ihm. Himmelhoch jauchzend, zu Tode betrübt. Jähzornig und zugleich weinerlich. »Weibliche Nachsicht, Majestät, muss irgendwo Grenzen haben. Bei aller Dankbarkeit.« Am Hof waren ihre fleischlichen Gelüste ein offenes Geheimnis. Vorzeichen bedeutender

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