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Die Zarin der Nacht

Die Zarin der Nacht

Titel: Die Zarin der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Stachniak
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die das Russische kennt: Grischa, Grischenka, Grischenok. Jede Form ist eine Verheißung, süß und zart.
    Sie hält eine Feder in der Hand, klappt den Bernsteindeckel des Tintenfasses auf.
    Komm zu mir, schreibt sie. Bitte.
    Â»Ãœbergeben Sie es ihm persönlich«, sagt sie zu dem Boten.
Sie muss gegen den Drang ankämpfen, das Siegel zu küssen, das noch warm ist von der Kerzenflamme. »Vertrauen Sie es niemand anderem an.«
    *
    Â»Ja oder nein«, wird sie gefragt.
    Â»Wozu?«
    Â»Zum Thema Liebe.«
    Â»Ich kann nicht lügen.«
    Â»Ja oder nein?«
    Â»Ja.«
    Â 
    Meine teure Seele. Mein Herz. Batenka. Grischa. Grischenka. Grischenok. Giaur. Moskowite. Goldfasan. Tonton. Zwillingsseele. Mein kleiner Kakadu.
    Mein geliebter Mann.
    Seine nackten Füße tappen über den grünen Läufer die Wendeltreppe hinauf, die zu ihrem Schlafzimmer führt. Um den Kopf hat er ein rosa Tuch geschlungen. Er knabbert an einer rohen Rübe und lacht. Es klingt boshaft. Er wird ihr den neuesten Klatsch erzählen, etwas Lustiges und unerhört Skandalöses: Bei dem Fest, das Fürst Jusupow veranstaltet hat, standen auf kleinen Podesten splitternackte Mädchen wie Statuen. In den Händen hielten sie Schalen mit Trauben, von denen die Gäste im Vorbeigehen naschten.
    Â»Stell dir das vor, Katinka!«
    Â»Im Grunde genommen bist du ein Kosake.« Sie lacht. »Schau dich doch an! Ein Fürst mit Schwielen an den Füßen.«
    Â»Tatsächlich?« Sein gutes Auge wirft ihr einen verlegenen Blick zu. Er ist ein Zyklop, der seine Fingernägel abbeißt. Seine Fingerkuppen sind schon ganz deformiert. Wenn kein Restchen Nagel mehr da ist, kaut er an der Schreibfeder oder an ihrem Schmuck. Einmal hat sie ihn eine Perle zerbeißen sehen.
    Er ist nicht zu zähmen. Das wurde ihr klar, als er zum ersten Mal mit ihr in der banja des Palasts lag und sie sich am Gefunkel von Gold und Silber, dem Schimmer kostbarer Steine weidete.
    Er goss Wein in kristallene Kelchgläser, schälte Pfirsiche, fütterte sie mit den Fingern, und süßer Saft lief ihr übers Kinn. Sie war da fünfundvierzig, zehn Jahre älter als er. Ihre drei Kinder hatten ihre Haut und ihr Inneres gedehnt. Doch als er sie zu sich auf die lederne Bank zog, erschien es ihr nicht richtig, dass irgendetwas ihre Körper trennen sollte. Haken, Rüschen, Knöpfe, Stoff.
    Alles von diesem Abend ist ihr noch absolut gegenwärtig. Sein staunendes Gesicht, sein Bauch, der unter ihren Fingern zittert. Der samtweiche Satin seiner Haut. Seine Hand, die über ihren nackten Rücken wandert. Seine Lippen, die ihre Haut absuchen. Das Ineinander von Armen und Beinen. Das pochende Verlangen. Das Gefühl, ihn mit ihren Knochen hören zu können.
    Das süße Geflüster der Liebe: Liebste, nach der ich mich unendlich sehne, du bist mein. Was ich für dich empfinde, lässt sich nicht in Worten sagen. Dazu ist das Alphabet zu kurz. Wie könnte ich nach dir jemals eine andere lieben!
    Als er ihr Lust bereitete, kannte er keine Scheu. Keine Schüchternheit, als er für seine eigene Lust sorgte. Und während sie noch in seinen Armen lag, begann draußen vor der Tür eine Zigeunerkapelle zu spielen.
    Â 
    Es ist schrecklich, so maßlos zu lieben! Es ist eine richtige Krankheit.
    Â 
    Grischenka weigerte sich, in die Zimmer einzuziehen, die der ängstliche Liebhabers bewohnt hatte, darum gab sie ihm die Suite, die direkt unter ihrer liegt.
    Er kommt über die Privattreppe zu ihr, wann es ihm passt. Je nach Laune kann er überschäumend witzig sein oder verdros
sen und schweigsam. Manchmal himmelt er sie an und nennt sie seine Göttin, manchmal tritt er herein, ohne auch nur Notiz von ihr zu nehmen.
    Oder er zeigt auf die Karte des geteilten Polen und fragt: »Warum hast du so große Zugeständnisse gemacht?«
    Â»Ich hatte keine Wahl.«
    Â»Das weißt du nicht.«
    Â»Was hättest du an meiner Stelle getan?«
    Â»Nichts. Dann hätten die Preußen Farbe bekennen müssen. Das hätte funktioniert.«
    Â»Vielleicht.«
    Â»Sicher.«
    Er nimmt kein Blatt vor den Mund. Sie hat sich einschüchtern lassen und zu viel preisgegeben. Der Fuchs weiß jetzt, wo man fette Hühner holen kann, und er wird wiederkommen. Dann werden Federn fliegen. »Ich wäre ein großer König von Polen geworden«, sagt er, und das ist weder

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