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Die Zarin der Nacht

Die Zarin der Nacht

Titel: Die Zarin der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Stachniak
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ins Rutschen, Trauben ergießen sich über die Tischplatte und rollen überall herum. Die Schale mit den Melonen fällt zu Boden. Etwas roter Saft spritzt auf das fliederfarbene Kleid der Kaiserin, und als sie einen Schritt nach vorn macht, spürt sie eine weiche, feuchte Masse unter ihrem Satinschuh. Die Lakaien kommen angelaufen. Die Hunde bellen aufgeregt.
    Â»Ich war das nicht«, sagt Konstantin, denn alle Blicke sind auf ihn gerichtet.
    Es dauert eine Schrecksekunde, bis sie sich eingestehen kann, was wirklich geschehen ist. Sie weiß es, obwohl sie in dem Mo
ment nicht hingesehen hat, als Alexander mit einer schnellen Handbewegung gegen den Tisch gestoßen hat. Sie dreht sich nach ihm um, aber ihr ältester Enkel ist nicht mehr da. Es ist Platon Subow, der sie mit einer kaum merklichen Kopfbewegung auf die Gestalt hinweist, die in Richtung des Waldes davonrennt.
    Â»Nein«, sagt sie, als Anjetschka fragt, ob sie ihm nachlaufen soll. »In dieser Stimmung sucht er nur Streit. Er wird zurückkommen, wenn er so weit ist, sich zu entschuldigen.«
    Â 
    Eine halbe Stunde später, als alle Spuren seiner Untat beseitigt sind, kehrt Alexander zurück. Er hinkt, sein Gesicht ist zerkratzt, seine Kleider sind nass und schmutzig. Die Kindermädchen und Anjetschka kümmern sich um ihn, und er lässt sich von ihnen das Gesicht abwaschen.
    Als er sich seiner Großmutter nähert, macht sie den anderen ein Zeichen, sie alleinzulassen.
    Â»Aber warum hast du das getan, mein Monsieur Alexander?«, fragt sie, nachdem er sich sehr leise und kleinlaut entschuldigt hat. »Kannst du mir das erklären?«
    Tränen treten ihm in die Augen. Er schüttelt den Kopf.
    Sie bemüht sich weiter, ihm eine Erklärung zu entlocken, wird aber unterbrochen: Sie hört Hufschlag, die Hunde bellen aufgeregt. Die Stallknechte laufen auf den Reiter zu, der sogleich aus dem Sattel springt. Sie erkennt die massige Gestalt von Graf Besborodko, ihrem Sekretär, der jetzt auf sie zu läuft.
    Â»Eine Eilmeldung aus Paris«, keucht Besborodko und reicht ihr ein Schreiben. Seine Stirn glänzt vor Schweiß, eine Naht seines Handschuhs ist aufgeplatzt, seine Strümpfe sind bis zu den Knöcheln heruntergerutscht. Sein Pferd wiehert und stampft, die Hunde bellen immer noch. »Der Mob ist auf den Straßen.«
    Sie weiß immer noch nicht recht, warum die Meldung, dass
der Pöbel in Paris rebelliert, gar so dringend sein soll, aber da hört sie: »Sie haben die Bastille gestürmt, Majestät. Und das ist erst der Anfang.«
    *
    Es hat Siege gegeben, und es hat Auseinandersetzungen gegeben. In Sankt Petersburg knallt Grischenka mit den Türen, trampelt mit schmutzigen Stiefeln über ihre Teppiche, schreit und schlägt mit der Faust auf ihren Schreibtisch. Worum geht es in diesen Wutausbrüchen? Er will, dass sie mit England verhandelt; sie weigert sich. Er mahnt sie zur Vorsicht; sie will, dass sie ihre Karten offenlegen. Er tobt. Sie bekommt Koliken und Krämpfe. »Beobachte ihn«, befiehlt sie Sotow, als Grischenka fluchend geht und die Türen hinter sich zuknallt. »Schau, ob alles in Ordnung ist.«
    Wir streiten uns immer über Macht, nicht über Liebe.
    Menschen, die ihm übel wollen, vergiften ihren Verstand. Er kennt keine Grenzen, keine Scham. Seine »Sultaninnen« werden immer gieriger. Sie wissen, dass es ihm nichts ausmacht, seinen Boten für einen Fächer aus Schwanenhaut oder ein paar Seidenstrümpfe durchs halbe Reich zu schicken. Alle seine fünf Nichten (ein kleiner Harem aus Familienmitgliedern) schwimmen im Reichtum. Wohingegen die Pfauenuhr, die er für seine Kaiserin in London bestellte, aus Staatsgeldern bezahlt wurde. Aber in seiner Stadtwohnung gibt es Regale an allen Wänden, und jedes ist vollgestapelt mit Geldscheinen.
    Beweise?
    Reichlich. Hieb- und stichfest. Briefe, Aufträge. Geständnisse. Es gibt immer jemanden, der bereitwillig die Sünden der Mächtigen bezeugt. Faulheit, Pflichtvergessenheit, Gier, Eitelkeit, Verlangen nach jeder Frau, auf die sein Auge fällt.
    Am Ende siegt immer Grischenka. Türkische Festungen fallen. Steppen verwandeln sich in Äcker. Städte entstehen dort,
wo nur Gras wuchs. Das Komplott der Preußen gegen ihn ist vereitelt worden. »Ich verheimliche meine Gelüste nicht, Matuschka , aber wenn ich nehme, gebe ich zehnfach zurück. Was mein ist, ist stets

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