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Die Zarin der Nacht

Die Zarin der Nacht

Titel: Die Zarin der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Stachniak
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Und dann sagt er es: »Ich habe auf diesen Moment achtundzwanzig Jahre gewartet.«
    Sie zuckt zusammen, aber er lässt sich nicht aufhalten.
    Die Worte brechen sich Bahn wie ein Wildbach im Frühling.
    Er hat solche Angst ausgestanden damals, als Elisabeth starb. Schlaflos wälzte er sich nachts im Bett bei dem Gedanken, dass vielleicht gedungene Mörder ihr auflauerten. Gepeinigt und zugleich getröstet von Erinnerungen an gemeinsame glückliche Stunden. An ihr Kind, um das er nie trauern durfte. Keine hat je in seinem Herzen so unumschränkt geherrscht wie sie.
    Mit einer flinken Handbewegung zieht er seine Taschenuhr
hervor und lässt sie aufschnappen. Von der Innenseite des Deckels blickt ihr eigenes jüngeres Gesicht sie an. Er spricht davon, wie sie sich damals aus dem Palast stahlen, um miteinander allein zu sein. Sie fuhren in einem Schlitten, weich umhüllt von Pelzdecken. Aber dann dieser schreckliche Unfall: Jäh wurde sie aus dem Schlitten geschleudert, ihr Kopf schlug hart an einen Stein. Er dachte, sie sei tot. Er betete zu Gott dem Allmächtigen, sein Leben und all sein Glück wollte er ihm als Opfer darbringen, wenn er sie vor dem Tod errettete. Und da öffnete sie die Augen! Und sie küsste ihn voller Ungestüm. Wie könnte man je solche Momente vergessen?
    Â»Ich habe dich gebeten, mich nicht zum König zu machen und mich zu dir kommen zu lassen. Ich wünschte noch immer, du hättest es getan«, fährt er fort, hält inne, als zögerte er, doch dann sagt er es: »Sophie.«
    Ihr Herz schlägt schneller. Sie überlegt, was das alles zu bedeuten hat.
    Du hast mich zum König gemacht, also musst du mich unterstützen? Du hast kein Recht, irgendeine Gegenleistung zu verlangen? Du hast nicht das Recht, zu sagen: Ich bin eine andere geworden?
    Zorn ist nicht leicht zu verbergen. Er beschwört lang vergessene Erinnerungen herauf. Sie spürt Bodendielen unter ihren Füßen beben, hört eine Fensterscheibe zerspringen. Eine Matratze auf dem Boden, vollgesogen mit ihrem Schweiß. Peter, die Pfeife im Mund, wirft ihr einen verächtlichen Blick zu. Maman fragt: »Hast du schon vergessen, wer du bist?«
    Â»Es wird Zeit, sich zu den anderen zu begeben«, erklärt sie ihm.
    *
    Â» Matuschka «, sagt Grischenka, »spuck auf Monsieur Rotrock. Dieser treulose Schuft hat dich nicht verdient.«
    Ihre Diener haben das Gras niedergetreten und im Schatten einer jungen Birke ein Tuch über einen Klapptisch gebreitet. Sie haben Teller, Tassen und Untertassen daraufgestellt und Essen ausgepackt. Melonenwürfel auf einem Bett aus Eissplittern, halbierte Pfirsiche, mit Blättern dekoriert. Butterbrote, Blini mit Kaviar, Flaschen mit kaltem Kwass. Auf einer Platte sind rosa Papiertütchen mit kleinen Kuchen und Weintrauben darin zu einer Pyramide aufgeschichtet.
    Ein Sommervergnügen. Ein Ausflug mit Picknick am Waldrand. Die Klappsessel mit Eisengestell sind recht bequem, wenn auch ein bisschen wacklig. Sonnenstrahlen glitzern durch das zarte Grün und werfen Lichttupfen auf das weiße Tischtuch. Hunde liegen hechelnd im Schatten der Kutsche; einige lecken das Schmierfett an den Achsen ab.
    Hauptmann Platon Alexandrowitsch Subow, schlank und elegant in seiner stahlgrauen Paradeuniform, sitzt der Kaiserin gegenüber. Sie sind einander noch fremd, obwohl seine Lippen bereits ihre Brüste liebkost haben, obwohl er seine glattrasierte Wange an ihren Schenkel geschmiegt hat, als er vor ihr kniete und sich ängstlich fragte, ob sie wohl mit ihm zufrieden war.
    Sie haben alles noch vor sich. Schwächen sind noch nicht entdeckt, Begierden noch uneingestanden. Nichts ist gewiss. Vielleicht wird sie ihn trotz seines jugendlichen Charmes und seiner funkelnden schwarzen Augen wieder zu seinem Regiment zurückschicken. Sie braucht Einsamkeit, um wieder zu sich selbst zu finden, nach all den Verlusten, die sie erlitten hat.
    Der hübsche Hauptmann nimmt eines der rosa Tütchen. Mit geschickten Fingern fischt er eine Traube nach der anderen heraus und steckt sie in den Mund. Seine Zunge ist dunkelrot gefärbt. Anjetschka hat ihr erzählt, dass er Lebensweisheiten aus Büchern auswendig lernt, um sie zu beeindrucken: Verschwende keine Zeit mit geistlosen Beschäftigungen. Halte nicht an Meinungen fest, die sich als falsch erwiesen haben. Nur der Unwissende glaubt, er wisse alles.
    Ihre Enkel Alexander, Konstantin,

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