Die Zauberer 01 - Die Zauberer
tatsächlich aus reinem Eis bestand oder ob es sich in Wahrheit um ein lebendes, atmendes Wesen handelte, war unmöglich festzustellen. Dafür aber wusste Alannah genau, mit wem sie es zu tun hatten, denn als Tochter der Ehrwürdigen Gärten kannte sie die Erzählungen, die sich um den Anbeginn der Zeit und die Entstehung von Erdwelt rankten. »Das ist Ymir«, rief sie voller Entsetzen, »der Eisriese aus den alten Mythen!« Und in diesem Moment richtete der Gigant den stechenden Blick seiner weißen Augen auf die beiden Elfen herab ...
3. BAUWUTHAN TA MARWURAITH
Granock hasste es zu warten.
Schon früher, als er sich noch als Dieb durchs Leben schlug, hatte er es kaum ertragen können, im Dunkeln zu hocken und darauf zu lauern, dass sich ein Opfer näherte. Das Warten selbst machte ihm dabei nicht so viel aus. Die Ungewissheit war es, die ihm zusetzte, die Fragen, die einen immerfort quälten: Würde alles gut gehen? Würde er auch diesmal wieder ungeschoren davonkommen? Oder würde dies der Tag sein, da seine Glückssträhne riss und man ihn zu fassen bekam?
Auch an diesem Tag, während Caia und er im Nebel kauerten und darauf hofften, aus der Ferne ein Signal zu erhalten, musste Granock sich mit bohrenden Fragen auseinandersetzen: Hatte Alannahs Gefühl sie nicht getrogen? Befand sich die gesuchte Eisnadel tatsächlich hinter dieser Nebelwand? Und wenn ja, würde der Weg dorthin erneut mit mörderischen Gefahren und Todesfallen gespickt sein?
Hinzu kam noch, dass für ihn keineswegs feststand, dass sich Aldur an die Abmachung halten und das Signal geben würde, wenn Alannah und er das Ziel erreichten. Granock gab sich keinen Illusionen hin; wäre es nach Aldur gegangen, der Elf hätte ihn vermutlich schon längst in eine der Eisspalten gestoßen, um den Zauberern gegenüber zu behaupten, der tollpatschige Mensch hätte nicht aufgepasst und wäre aus Unvorsicht abgestürzt. Nur der Anwesenheit der beiden Elfinnen war es zu verdanken, dass sich des Aldurans Sohn bislang an die Regeln gehalten hatte, und Granock konnte nur hoffen, dass dies auch so bleiben würde.
Anfangs hatte man hin und wieder noch blasse Flammen aufblitzen sehen, wenn Aldur seine Fähigkeit dazu benutzt hatte, eine Schneise durch den frisch gefallenen Schnee zu brennen, aber dann war auch das flackernde Leuchten vom Nebel verschluckt worden.
Unmittelbar neben Granock flammte greller Lichtschein auf. Es war Caia, die ihr stoffliches Wesen einmal mehr aufgab und sich in jene strahlende Erscheinung verwandelte, die man auch durch den dichtesten Nebel sehen musste, wie bei einem Leuchtturm, der heimkehrenden Schiffen den Weg wies.
Aber es kehrte niemand heim, von Alannah und Aldur fehlte jede Spur. »Sie sind jetzt schon ziemlich lange fort«, stellte Caia fest, nachdem sie sich wieder zurückverwandelt hatte. Die Sorge um ihre Mitschüler war ihr anzusehen, und auch die unerbittliche Kälte setzte ihr allmählich zu. »Ja, ich weiß«, erwiderte Granock nur, der seine Füße in den Stiefeln schon kaum mehr spürte.
»Ich glaube, du hast einen Fehler gemacht«, sagte die schlanke, zerbrechlich wirkende Elfin kleinlaut.
»Inwiefern?«
»Du hast Aldur herausgefordert, und das war nicht gut.«
»Er ist ein eingebildeter Großkotz«, sagte Granock; Ogan hatte ihm inzwischen auch einige Wörter der Elfensprache beigebracht, die nicht in Meister Farawyns Lehrbüchern zu finden waren.
»Bescheidenheit mag nicht seine Stärke sein«, gab Caia zu, »aber er ist der mächtigste von allen Novizen. Und es heißt, seine Familie hätte gute Verbindungen zum Ältesten.«
»Und wenn schon!« Granock hielt ein Nasenloch zu und rotzte durch das andere in den Schnee. »Die helfen ihm weder, die Prüfung zu bestehen, noch aus diesem Nebel herauszufinden.«
»Dennoch hätten wir auf ihn hören und zur Ordensburg zurückkehren sollen, solange es noch möglich war«, war die Elfin überzeugt.
»Es ist noch immer möglich«, versicherte Granock. »Wenn ihre Suche erfolglos ist, werden die beiden hierher zurückkehren und ...« Er verstummte, als er das Gesicht der Elfin sah. »Du hast Zweifel«, stellte er fest. »Du glaubst nicht, dass sich Aldur an den Plan hält.«
»Du bist ein Mensch und weißt nicht, was in einem Elfen vorgeht, dessen Ehrgefühl verletzt wurde.«
»Nein, das weiß ich nicht«, gab Granock zu. »Aber«, fügte er seinen eigenen Befürchtungen zum Trotz hinzu, um die Elfin zu beruhigen, »ich weiß, dass Alannah bei ihm ist, und ihr
Weitere Kostenlose Bücher