Die Zauberer 01 - Die Zauberer
dass niemand von Erweins Kriegern bemerkte, wie sich eine Zauberin, die tödlich verwundet auf den staubigen Steinfliesen lag, langsam bewegte ...
Riwanon wusste, dass sie dem Tod geweiht war.
An einem anderen Ort hätte sie kraft ihrer Selbstheilung vielleicht überleben können; im Hort der Finsternis, wo die Elfenkristalle keine Wirkung hatten, gab es keine Rettung. Der von Farawyn geschleuderte Stahl hatte ihren Leib durchbohrt, und mit jedem neuerlichen Blutschwall, der aus der Wunde strömte, fühlte die Zauberin, wie das Leben sie verließ.
Der Gedanke, dass sie eines fernen Tages ein Schiff zu den Fernen Gestaden besteigen, dass sie in ewiger Freude und Erfüllung leben würde, war ihr stets fremd gewesen. Sie hatte es vorgezogen, das Leben in vollen Zügen und bis zur Neige zu genießen, und sie hatte geahnt, dass ihr ein anderes Ende beschieden sein würde, als es dem Rest ihres Volkes erstrebenswert schien. Dass es auf diese Weise und so plötzlich geschehen würde, hatte sie jedoch nicht vorausgeahnt.
Doch Riwanon wollte nicht gehen, wollte nicht verlöschen wie eine Kerze im Wind, ohne nicht noch ein letztes Mal lichterloh gebrannt zu haben. Sie wollte der Funke sein, der den Anstoß gab zu einer neuen Weltordnung, zu einer neuen Zeitrechnung ...
Sie schaffte es nicht mehr, sich zu erheben, daher schleppte sie sich auf allen vieren auf den Abgrund zu, den tödlichen Stahl noch in der Brust. Labhras hatte es nicht gewagt, das Schwert herauszuziehen, weil sie dann noch schneller verblutet wäre.
Riwanons Willenskraft jedoch war ungebrochen. Sie hatte ein Ziel vor Augen, das sie erreichen wollte - auch wenn sich ihr Blick bereits eintrübte und sie die Kluft und den dahinter aufragenden Sarkophag nur noch als verschwommene Schemen wahrnahm.
Der Schmerz in ihrer Brust wollte sie zerreißen. Sie krallte die Fingernägel in die Fugen zwischen den steinernen Bodenplatten, zog sich Stück für Stück vorwärts, dabei eine dunkle Blutspur hinterlassend, und erreichte schließlich den Rand der Kluft.
Mit versiegender Kraft hob sie den Kopf und blickte über die Kante, sah den grün leuchtenden Strudel, der sich in der Tiefe drehte, und indem sie alle Energie einsetzte, die ihr geschundener, gepeinigter Körper noch aufzubringen in der Lage war, schob sie den Oberkörper über die Grubenkante, bis er das Übergewicht bekam - und mit einem letzten gellenden Schrei verschwand sie in der Tiefe.
Weder Erwein noch einer seiner Krieger hatte bemerkt, was geschehen war die Veränderung jedoch, die im nächsten Moment eintrat, blieb ihnen nicht verborgen.
Denn der grüne Dunst, der aus dem Schacht wallte, verstärkte sich plötzlich und wurde zu dichtem Nebel, der aus dem Abgrund emporquoll, beleuchtet von einem unsteten Flackern, das die ganze Grabkammer erfüllte. Ein grässlicher Laut war zu hören, der aus tiefsten Tiefen zu dringen schien und so voller Zorn und Bosheit war, dass Erwein sogleich bereute, dem Pfad der Rache gefolgt zu sein und sich mit den dunklen Mächten eingelassen zu haben. Er schaute zu seinen Männern, in deren Gesichtern sich nackte Furcht spiegelte. Einer nach dem anderen ließ die Waffe fallen, und sie wichen vor dem Schlund zurück, aus dem immer noch mehr giftgrüner Nebel wölkte, wie der Odem eines riesigen Ungeheuers. Dicht über dem Boden sammelten sich die Schwaden und breiteten sich nach allen Seiten aus. Erwein schauderte, als sie um seine Füße strichen und er tödliche Kälte spürte.
Er sah, wie der Nebel auch seine Männer einhüllte und an ihnen emporkroch und im nächsten Augenblick waren entsetzte Schreie zu hören, die nicht nur mehr von nackter Furcht zeugten, sondern von grässlichen Schmerzen. Die Truppen des Fürsten von Andaril verschwanden hinter einer Wand aus grünem Nebel. Erwein hob die Hand, als wolle er sich zu ihnen vortasten - und stieß einen heiseren Schrei aus.
Mit vor Entsetzen weit aufgerissenen Augen sah er, wie sich das Fleisch von seinen Finger- und Handknochen löste und von den giftigen Schwaden zerfressen wurde. Und nicht nur das, der Nebel nagte sich weiter den Arm hinauf und unter die Rüstung, die vor ihm keinen Schutz bot.
Der Herrscher von Andaril lebte noch lange genug, um den Todesschreien seiner Männer zu lauschen und zu begreifen, dass er sie ins Verderben geführt hatte, während sich seine Haut vom Fleisch löste und sein Fleisch von den Knochen. Dann brach er zusammen.
In diesem Moment erwachte der Dunkelelf zum Leben.
28.
Weitere Kostenlose Bücher