Die Zauberer 01 - Die Zauberer
der Ostgrenze des
Reiches befand, sondern tief im Süden, zwischen Meer und Ostsee, auf jener Landzunge, die das Elfenreich und das dunkle Land Arun verband und die von alters her durch die Große Mauer geteilt wurde. Dorthin versetzt zu werden, war keine Auszeichnung, sondern kam einer Strafe gleich.
Der erste Grund dafür war das Klima, drückend und von entsetzlicher Schwüle. Die feuchte Hitze kam aus dem Süden, machte die Luft schwer und war vor allem in den Sommermonaten unerträglich. Hinzu kamen die Einsamkeit und die karge, trostlose Landschaft, die jedes Leben zu entbehren schien; für einen Elfen, der an den fruchtbaren Ufern des Gylafon aufgewachsen war, ein schier unerträglicher Anblick, der auf Geist und Seele lastete. Immer wieder kam es vor, dass einen Soldat unerträgliche Schwermut überkam und er sich von einer der hohen Burgzinnen zu Tode stürzte. Aber obwohl er wenig begeistert darüber gewesen war, hatte Accalon die Versetzung widerspruchslos hingenommen und sich damit getröstet, dass man seit Generationen niemanden aus seiner Familie mehr ein so hohes Amt übertragen hatte. Im Lauf der Jahre jedoch, in denen er an der Grenze seinen Dienst versah, hatte er sich zu fragen begonnen, ob Carryg-Fin und die Große Mauer überhaupt noch einen militärischen Sinn machten oder vielleicht eher Relikte aus einer anderen, längst vergangenen Zeit waren.
Der letzte Angriff aus dem Süden war während des Krieges erfolgt - seither waren die gefährlichsten Gegner, mit denen es die Grenztruppen zu tun bekommen hatten, ein paar halbnackte Menschen gewesen oder eine Herde verirrter ilfantodion. Vielleicht, so vermutete Accalon bisweilen, wollte man in Tirgas Lan einfach nicht zugeben, dass die Grenze sicher und die Befestigungen deshalb überflüssig geworden waren. Mit Rechthaberei und Starrsinn, das hatte Accalon gelernt, ließ sich manches erklären, was in der Politik vor sich ging, ganz anders als beim Militär: Wer in der Hitze des Gefechts eine Fehlentscheidung traf, wurde augenblicklich dafür bestraft und bekam meist keine zweite Möglichkeit, sich zu bewähren.
Darüber dachte Accalon nach, während er zum ungezählten Mal am Fenster der Kommandantur stand und gen Süden blickte. Dort zeichneten sich der Dschungel und die Berge Aruns als gezacktes dunkles Band ab, über dem sich der Abendhimmel blutrot färbte. Vielleicht, so überlegte er, wäre es gut gewesen, wenn sich auch der König und seine Berater hin und wieder auf einem Schlachtfeld hätten bewähren müssen. Dann hätten sie womöglich besser verstanden, was es bedeutete, für seine Entscheidungen verantwortlich zu sein. Und vielleicht hätten sie dann auch begriffen, was es hieß, ein Kommando auf einem entlegenen Außenposten zu führen, fernab von jeglicher Zivilisation und von allen vergessen.
Nicht Angreifer von außen waren der gefährlichste Feind von Accalons Truppe, sondern die Langeweile. Der Stumpfsinn des Alltags setzte den Elfen zu, und längst nicht nur den einfachen Soldaten, sondern auch den Korporälen und Offizieren. Zwar bemühte sich Accalon, dem entgegenzuwirken, indem er täglich Übungen ansetzte: Mit endlosem Exerzieren, Waffendrill und Märschen durch das trostlose Niemandsland versuchte er, die Disziplin aufrechtzuerhalten, aber es war ein aussichtsloser Kampf, dessen Scheitern absehbar war. Wie giftiges Unkraut wucherten Nachlässigkeit und Ungehorsam unter seinen Leuten, und wo immer Accalon sie auszurotten versuchte, schienen sie nachher nur umso üppiger zu gedeihen.
Erst vergangene Woche hatte er einen jungen Fähnrich auspeitschen lassen, der volltrunken und in schmutziger Uniform zum Wachdienst erschienen war. Woher er den Schnaps gehabt hatte, mit dem er sich betrunken hatte, war noch immer ungeklärt, aber Accalon hatte nicht gezögert, ein Exempel zu statuieren und den Fähnrich vor aller Augen mit fünf Peitschenhieben zu bestrafen. Der Offiziersanwärter, ein junger Mann aus Tirgas Dun, war bei seinen Untergebenen beliebt, entsprechend groß war die Abneigung, die Accalon seither entgegenschlug. Doch als Befehlshaber einer Grenzfestung war es nicht seine vordringlichste Aufgabe, von seinen Männern gemocht zu werden, sondern dafür zu sorgen, dass sie zu jeder Zeit wachsam und einsatzbereit waren - auch wenn er selbst nicht mehr an die Notwendigkeit dieser Mission glaubte. Er hatte jedoch einen Befehl, und ein guter Soldat führte Befehle aus, die man ihm auftrug, und zwar stets nach bestem
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