Die Zauberer 03 - Das dunkle Feuer
Opfer, aber keine Täter. Von den Angreifern, die dieses grausame Werk vollführt hatten, war offenbar kein einziger auf dem Feld zurückgeblieben, und das weckte bei Iomer Erinnerungen, die er eigentlich längst verdrängt hatte ...
Atemlos, unfähig, ein Wort zu sagen oder auch nur einen klaren Gedanken zu fassen, setzte er einen Fuß vor den anderen und wandelte die blutgetränkte Straße hinab. Er kam sich vor wie in einem Albtraum, aber eine unnachgiebige Stimme tief in seinem Inneren sagte ihm, dass dies die Wirklichkeit war und es kein Erwachen aus ihr gab.
Während die anderen Späher, die ihm mit etwas Abstand folgten und die nicht weniger bestürzt und ergriffen waren als er, noch immer rätselten, wer zu einer solchen Untat fähig sein mochte, war es Iomer längst klar geworden.
Der Vorfall, an den er sich erinnert fühlte, hatte sich vor etwas mehr als vier Jahren zugetragen. Damals war eine ganze Grenzlegion bis auf den letzten Mann vernichtet worden. Während die Gegenseite kaum nennenswerte Verluste hinzunehmen hatte, hatte Iomer bei dem Massaker beinahe seine ganze Familie verloren, seinen Vater und seine drei Brüder. Und die Namen der Kreaturen, die für diese Bluttat verantwortlich waren, hatte sich unauslöschlich in sein Gedächtnis eingebrannt... »Hilfe ...«
Der Kundschafter fuhr herum. Was er gehört hatte, war nicht mehr als ein hauchdünnes Flüstern gewesen, aber sein geschultes Gehör hatte es dennoch vernommen. Wachsam schaute er sich um - und wenn er geglaubt hatte, dass es inmitten dieser grauenvollen Szenerie keine Steigerung von Grausamkeit und Barbarei mehr geben konnte, so wurde er eines Besseren belehrt...
»General!«, schrie Iomer, als er den Oberbefehlshaber der Ersten Legion erblickte - oder vielmehr das, was der grässliche Feind von ihm übrig gelassen hatte.
Von zwei Speeren durchbohrt, die unterhalb des Schlüsselbeins durch beide Schultern getrieben und dann in einen Baum gerammt worden waren, wurde der General in stehender Position gehalten - und das, obwohl kaum noch Leben in ihm war. Er hatte Unmengen von Blut verloren, das seine Kleider und seine Rüstung besudelt und sich zu seinen Füßen gesammelt hatte, und die Entschlossenheit, die früher aus seinen kantigen, von silbergrauem Haar umrahmten Gesichtszügen gesprochen hatte, war blankem Entsetzen gewichen. Irrsinn blickte aus seinen Augen, die wild in ihren Höhlen rollten und Iomer vergeblich zu fixieren suchten.
»Späher«, röchelte er.
»Ja, mein General?« Iomer ging zu ihm. Aus der Nähe sah er die unzähligen Schnittwunden, die man Lavan beigebracht hatte, jedoch wohl nur, um ihn zu quälen. Getötet hatte man ihn absichtlich nicht, damit er den Untergang seiner Legion bis zum Ende mit ansehen musste ...
»Meldung«, verlangte Lavan, wobei Blut aus seinen Mundwinkeln rann. Sein Kinn sackte auf die Brust, aber er biss die Zähne zusammen und hob den Kopf wieder.
»Der Feind hat Tirgas Lan erreicht, mein General«, erstattete Iomer wahrheitsgemäß Bericht, schon weil er nicht wusste, was er sonst hätte sagen sollen angesichts all des Grauens. »Sie haben Tirgas Lan eingekreist.«
»Dann müssen wir ... angreifen«, hauchte Lavan mit ersterbender Stimme. »Gebt den Bericht an ... die Hauptleute weiter. Gilduin und Saior ... sollen sich um die Aufstellung kümmern ... Bogenschützen und Leichtbewaffnete zuerst ... dann die Legionäre ... die Reiterei zuletzt...«
Iomer starrte ihn erschüttert an. Offenbar war der Anblick der massenhaft dahingeschlachteten Soldaten zu viel für Lavans Verstand gewesen. Er schien sich an einen Ort geflüchtet zu haben, wo er sicher war vor der bitteren Realität und all die grässlichen Dinge nicht geschehen waren. Ein Ort, dachte Iomer beklommen, der dem Tod näher war als dem Leben.
Seine Leute hatten inzwischen zu ihm aufgeschlossen. Auch sie waren entsetzt über den Anblick, der sich ihnen bot, aber sie ließen sich nichts anmerken.
»Spähtrupp ... vollzählig?«, erkundigte sich Lavan.
»Ja, mein General.« Iomer nickte. »Keine Verluste.«
»Das ist gut.« Die Gesichtszüge des Generals entspannten sich, und trotz seines elenden Zustands brachte er ein Lächeln zustande. Schmerz schien er nicht mehr zu fühlen, dazu war er bereits zu weit vom Diesseits entfernt. »Jeder Kommandant... sollte immer versuchen ... seine Soldaten ... wohlbehalten nach Hause ...«
Es war ihm nicht vergönnt, den Satz zu Ende zu sprechen. Wieder fiel sein Kopf nach vorn, aber
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