Die zauberhafte Tierhandlung (05) - Lotte und der Phönix
schön!« Freds Schnurrhaare zitterten jetzt dramatisch. »Ich habe mich in dir getäuscht, Lotte Grace. Das begreife ich nun. Ich hätte nie gedacht, ich würde dich einmal etwas so Mäusefeindliches sagen hören!« Er wandte sich mit einer grandiosen schwanzwirbelnden Drehung ab, doch dann übermannten ihn seine Gefühle – die pinkfarbenen Mäuse waren noch gefühlsbetonter als die normalen –, und er schlich mit hängendem Kopf auf die Tischkante zu, den Schwanz hinter sich herziehend.
»So habe ich das doch nicht gemeint … Oh, Fred, pass auf! Horaz, nein!«
Fred flitzte plötzlich quer über den Tisch, als seine Mäuseinstinkte doch noch einsetzten. Er war eine umhegte Tierhandlungsmaus, die noch nie gejagt worden war, aber das Rauschen gewaltiger Flügel, das erklang, als Horaz sich in die Luft schwang, hatte offenbar etwas unmissverständlich Bedrohliches an sich.
Lotte warf sich auf Fred, und Sofie flog mit ihr, schlitterte über den Tisch, schnappte den Mäuserich mit ihrem Maul und segelte weiter auf den Boden. Lotte fiel auf die beiden, während Horaz im selben Moment mit einem heiseren Eulenschrei an ihnen vorbeirauschte und auf der Kommode landete. Seine Augen blitzten wütend.
»Wow!« Danny bückte sich, um ihr aufzuhelfen. »Ich nehme an, du kannst das nicht noch mal machen, damit ich es filmen kann, oder? Wir könnten ein Vermögen damit verdienen.«
Lotte ignorierte ihn. »Sofie, geht es dir gut? Oh nein, du blutest ja!«
»Dieser dämliche hibou , er hat mich mit den Klauen gestreift, als er an uns vorbeiflog!« Danach ließen ihre Worte sie offenbar im Stich, denn auf Horaz, der neben einer Blumenvase saß und gereizt zischte, prasselte ein Schwall aus wütendem Gebell nieder. Zumindest wirkte er ein wenig beschämt.
»Typisch!« Fred zerrte seinen Schwanz zwischen Sofies Zähnen hervor und stöhnte bei seinem Anblick betroffen auf. »Sie geht auf mich los, und du fragst sie, ob es ihr gut geht! Sieh dir doch nur mal meinen Schwanz an! Er ist ganz nass! Sie hat auf meinen Schwanz gesabbert!«
»Entschuldige mal! Ich sabbere nicht!« Sofie hörte auf, ihre verletzte Pfote zu lecken, und funkelte Fred an.
Lotte nahm Fred mit einer Hand hoch. Sie bemühte sich sehr, liebevolle, aufmunternde Dinge zu denken, was ihr sehr schwerfiel, weil sie gleichzeitig dagegen ankämpfte, entweder der großen Eule eins überzubraten oder Tränen zu lachen.
»Fred, bitte versuch dich zu beruhigen. Sofie hat dich nicht angegriffen – sie hat dich gerettet, verstehst du? Ehrlich. Hast du Horaz nicht gesehen? Er hat versucht, dich zu fressen!« Kaum dass sie die Worte ausgesprochen hatte, erkannte Lotte, dass es vielleicht keine gute Idee gewesen war. Falls etwas in der Lage war, Fred in Panik zu versetzen, dann das.
Aber Fred stand auf ihrer Handfläche, zehn Zentimeter empörte pelzige Würde, und legte seine Pfötchen und seinen Schwanz zusammen. »Ausgerechnet. Horaz. Der Papagei. Von allen denkbar erbärmlichen Ausreden wählst du diese. Lotte, du solltest dich was schämen.«
»Aber er ist kein Papagei, er ist eine Eule, sieh doch … Oh.« Lotte verstummte, denn Horaz war keine Eule mehr. Er war ein grauer Papagei mit roten Schwanzfedern und einem Glitzern in den Augen, das schuldbewusst hätte sein sollen, aber wahrscheinlich von seinem Versuch herrührte, nicht zu lachen.
»Eine Eule!« Der arme Fred war den Tränen nahe, als er Lottes Arm hinunterkletterte und zurück zur Jackentasche ihres Vaters marschierte. »Das machst du absichtlich. Ich begreife nicht, wie du so grausam sein kannst, Lotte.« Er sauste über den Tisch, ohne zu bemerken, wie Horaz zuckte, als einige verbliebene Euleninstinkte mit seiner Papageiengestalt rangen, und tauchte kopfüber in die Tasche der gelben Öljacke. »Ich will das Taschentuch wiederhaben, ich muss mich vor der Welt verstecken«, fügte er mit einem gedämpften Piepsen hinzu, und Lottes Vater schob es zuvorkommend hinter ihm in die Tasche.
Alle atmeten tief durch, und Onkel Jack seufzte und setzte den Wasserkessel auf.
»Ich brauche Kuchen«, wimmerte Sofie, die mitleidheischend ihre Pfote ausstreckte, auf der ein hauchdünner Kratzer zu sehen war. »Ich blute, seht ihr?«
Onkel Jack machte sich nicht die Mühe, mit ihr zu diskutieren, er öffnete einfach den Schrank.
»Was ist da drin?« Sofies Laune verbesserte sich schlagartig. »Ist es Torte? Ich brauche Schokoladentorte!« Sie hielt inne und seufzte, als würde sie ihre Chancen abwägen.
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