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Die Zauberquelle

Titel: Die Zauberquelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle-Riley
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unterscheiden könnte, wüßte er, daß der Tag gekommen ist, an dem ich dieses flohzerbissene Jammerbild von einem Abt vor Zeugen in den Staub trete. Dort kommen die Schreiber aus London, um die Siegel zu prüfen. Ich habe den Abt aufgefordert, seine Fachleute zu schicken. Der heutige Tag ist sein Untergang, er wird sich mit Schmach und Schande bedecken.« Der alte Mann verschränkte die Arme und feixte. Gilbert fuhr herum und blickte ihn entsetzt an.
    »Was habt Ihr getan? Vater, Ihr seid ein verkalkter Trottel! Er besorgt sich doch falsche Zeugen, und das ist Euer Verderben. Mein Gott, was habe ich nur verbrochen, daß ich einen solchen Vater habe?« Sein Vater freute sich, daß er Gilbert dazu gebracht hatte, als erster das Wort an ihn zu richten, und bedachte ihn mit einem hochnäsigen Blick.
    »Das habe ich mich, was dich angeht, auch schon oft gefragt. Aber laß dir gesagt sein, daß ich vorausschauend den Richter davon benachrichtigt und ihn gebeten habe, aus dem königlichen Archiv einen Schreiber mitzubringen, falls es zu Meinungsverschiedenheiten kommen sollte. Wir haben uns in St. Alban's beraten, er und ich, auch wenn du es nicht verdienst, daß ich dir das mitteile.«
    »Und wie habt Ihr es geschafft, den königlichen Richter in diese Angelegenheit zu verstricken?«
    »Das ist meine Sache. Aber sie müssen einen Eid ablegen, und ihre Aussagen vor Zeugen beschwören. Und falls der Abt einen Lügner schickt, ist es um ihn geschehen.«
    »Darum also habt Ihr Estrade und Tische wie am Gerichtstag aufstellen lassen. O Gott, ich bekomme Kopfschmerzen.« Gilbert schlug sich an die Stirn.
    »Dann lauf, lauf nur. Für mich kannst du doch nichts tun. Bei Gott, dreimal in Frankreich und kein einziges Mal an der Front verwundet.«
    »Vater, beim letztenmal hat mich der Blitz getroffen«, sagte Gilbert, und ich sah, wie sein Hals zornrot anlief.
    »Genau das meine ich«, sagte sein Vater. »Niemals an der Front. Was willst du nächstes Mal anstellen? Über einen Wurm stolpern?« Bei diesen Worten wollte sich Gilbert wütend auf den alten Mann stürzen, und während ich noch lief, um sie auseinanderzuzerren, brachte sie der Verwalter zur Besinnung, indem er ihnen meldete, die ersten Gäste stiegen vom Pferd, und die Delegation aus dem Kloster käme soeben durch das Tor geritten.
    Und jetzt erlebte ich eine Überraschung. Ich kannte zwar keinen der Schreiber und den Abt nur vom Sehen, aber den königlichen Richter aus Westminster, den kannte ich in der Tat sehr gut. Es handelte sich um Sir Ralph Fitz William, den Vater von Denys, dem Retter. Diesmal war er prächtiger gekleidet, sein langes Samtgewand war mit Hermelin verbrämt, und um den Hals trug er eine schwere Goldkette. Doch seine durchtriebene Miene, so würdevoll und berechnend zugleich, die hatte sich überhaupt nicht verändert.
    »Ei, Dame Margaret, welch eine Freude, Euch wiederzusehen«, sagte er, nachdem er mich begrüßt hatte. »Und wie geht es der reizenden kleinen Hexe, Cecily Kendall? Wie ich höre, macht sie große Fortschritte in höfischem Benehmen. Ich habe eigens bei der Dorfkirche angehalten, um das berühmte Altartuch zu bewundern.« Ich muß gestehen, daß ich mit offenem Mund dagestanden und so lange geschwiegen habe, daß man es als Unhöflichkeit auslegen konnte. Woher wußte er das alles? Mir kam ein furchtbarer Verdacht.
    »Gut, gut, ich lasse sie rufen, sobald wir das hier geregelt haben«, unterbrach uns Sir Hubert. »Danach ist ausreichend Zeit für eine angenehme Unterhaltung. Ich habe da ein Fäßchen seltenen Wein im Keller, der Euch schmecken dürfte.« Sein Tonfall und seine Miene verstärkten meinen Argwohn noch.
    Inzwischen hatten die Knechte die verschlossene Schatulle aus dem Turmzimmer herbeigeschafft, und der Abt und seine Schreiber prüften die Schlösser, während die Schreiber des Richters ein Blatt mit Zeichnungen von allen Siegeln hervorholten, die von Wilhelm, Herzog der Normandie und Eroberer Englands, und seinen Untergebenen bekannt waren. Doch dann entstand Unruhe an der Tür, und die letzten aus der Mönchsschar, die den Abt begleitete, führten einen gebrechlichen Greis in der schwarzen Kutte der Dominikaner herein. Er war kahl wie ein Ei, die Haut auf seinem Schädel war pergamentdünn, und er hatte blasse, beinahe blicklose Augen.
    Es war schon ein eigenartiges Schauspiel in dem großen Palas: Beamte und Schreiber, die sich an der Estrade um den Abt und Sir Hubert scharten, Augustiner und Dominikaner, die sich

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