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Die Zauberquelle

Titel: Die Zauberquelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle-Riley
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klopfte den Staub ab und rieb sich ein Weilchen den Hals.
    »Lady Petronilla hat zugesehen, wie wir die Schatulle vergraben haben.«
    »Na und, das macht doch nichts. Sie ist irre. Zu der Zeit war sie von mehreren Teufeln besessen und hat obendrein den Succubus gespielt. Wir behaupten einfach, wir haben es nicht getan. Wessen Wort zählt mehr, das von zwei Männern aus guter Familie oder das einer Wahnsinnigen?«
    »Vater, wenn es Euch gelingt, mich umzubringen, werden Menschen mit einem Fünkchen Verstand annehmen, daß Ihr den einzigen Zeugen beseitigt habt, der gegen Euch aussagen könnte.«
    »Wer redet hier von umbringen? Das war lediglich eine normale kleine Meinungsverschiedenheit, mehr nicht. Etwas Disziplin hat dir schon immer gutgetan.«
    »Die hat mir noch nie gutgetan, und wenn Ihr mich noch einmal anfaßt, seht Ihr weder mich noch meine Familie jemals wieder. Meine Tür bleibt Euch Euer Leben lang verschlossen, Vater.«
    »Familie? Familie? ICH BIN DEINE FAMILIE!«
    »Margaret ist meine Familie. Peregrine ist meine Familie. Die kleinen Mädchen, die Kendall zurückgelassen hat, sind meine Familie.«
    »Unfug! Unfug, mein Junge! Hör mal, das stehen wir zusammen durch!« Sir Hubert legte Gilbert den Arm um die Schultern.
    »Vater, ich habe gesagt, faßt mich nicht an«, sagte Gilbert und entzog sich ihm. »Dazu war früher Zeit, jetzt ist es zu spät.«
    »Du bist zweifellos das widerborstigste, widerlichste, eingebildetste, selbstsüchtigste Jammerbild eines menschlichen Wesens, das mir jemals begegnet ist. Das kommt alles vom übermäßigen Denken! Dabei arbeitet das Hirn von ganz allein. Völlig unnatürlich! Es wäre besser gewesen, du wärst mit zwei Nasen geboren worden als mit zuviel Hirn! Du bist genau wie deine Mutter!«
    »Lassen wir das, Vater. Ich will nur nicht, daß Ihr mich noch ein einziges Mal anfaßt.«
    »Genau wie sie«, knurrte der alte Mann, als sie zusammen zu den Ställen zurückgingen.

Kapitel 23
    G uck mal, Mama, Peregrine hilft.« Ich blickte ihn an, und da hielt Peregrine Rosenblätter in der Hand. Er öffnete die Faust und hatte sie völlig zerdrückt.
    »Ei, genau richtig. Leg sie in den Korb da.« An einer Stelle der zerfallenen Ringmauer wuchsen Heckenrosen, rankten sich über die in der Bresche liegenden Steine und wandten die flachen, lieblich duftenden Gesichter der Sonne zu. Für Rosenwasser gibt es nichts Besseres, und aus den Hagebutten koche ich später ein besonderes Mus, das für die kurzen Wintertage den ganzen Sommer im Topf einfängt. Madame und die Mädchen, Peregrine und ich schufteten in der Sonne, alle hatten wir große Strohhüte auf, die doch keinen ausreichenden Schatten gaben. Madame und ich schnitten die Stengelansätze mit kleinen Messern ab, während sich die Mädchen um die großen Körbe voller Rosenblätter kümmerten.
    »Die tu' ich in Cec'ys Korb. Dann hat sie mehr«, verkündete Peregrine.
    »Du, in meinen kommen keine krisseligen, knautschigen«, sagte Alison.
    »Sing noch mal, Cec'y«, verlangte Peregrine. Und Cecily begann mit ihrem hohen Stimmchen:

»Vom himel kam der engel schar
erschîn den hirten ofenbâr
sî sagten în': ›eyn kindleyn zart
daz lîgt dort in der kripen hart‹«

    Darauf fiel auch Alison mit lieblicher und schöner Stimme in das Lied ein, und Peregrine sang auch mit, wenn auch falsch und mit unsinnigen Wörtern, denn er wollte es den Mädchen nachtun:

»… ›zu bettellam in dafis stâd
wî Mischa es vakundet hat
es iss der here jesseschriss‹…«

     Madame schob den Hut zurück und wischte sich den Schweiß unter dem Rand ihres Kopftuches mit dem Ärmel ab. »Ach, wie schön ist doch das Landleben«, sagte sie, und ich merkte, wie ihr Gesicht beim Anblick der Kinder ganz weich wurde.
    »Wenn ich es doch auch schöner finden könnte«, sagte ich, »aber seit mein Herr Gemahl und sein Vater nicht mehr miteinander sprechen, kommt es mir so vor, als würden wir belagert.«
    »Ein edleres Herz als Sir Gilberts gibt es auf der ganzen Welt nicht«, sagte Madame. »Seine Ehre ist weißer als Lilien. Diesmal ist sein Vater im Unrecht. Er sollte stolz auf einen solchen Sohn sein. Aber das kommt daher, daß er so lange tun und lassen konnte, was er wollte. Wie diese Rosen hier sollte er ein wenig zurückgeschnitten werden.« Da mußte ich insgeheim doch ein wenig lachen. Auf einmal sah ich vor meinem inneren Auge Madame, wie sie wild entschlossen die Heckenschere schwang und den wilden alten Mann zurechtstutzte, ihn dazu

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