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Die Zauberquelle

Titel: Die Zauberquelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle-Riley
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um den Greis drängten, der auf der Bank am Haustürschirm saß, und Gilbert und Hugo, die in ihren wappengeschmückten Surkots soldatisch wirkten und mit verschränkten Armen an der Wand lehnten. Madame und ich saßen verdeckt in der Ecke, Madame mit dem wachsamen, gelassenen Blick einer Katze, die ein neues Revier besichtigt. Lady Petronilla in ihrem widerlichen Kleid aus Zindelstoff hatte gefordert, daß man für sie eigens einen Stuhl abseits von der Frauenbank aufstellte. Doch das war ihr nicht genug. Sie rannte aus und ein, treppauf und treppab, alles ein eitler Versuch, die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, während die finsterste Figur im Raum, ihr Beichtvater Bruder Paul, mit honigsüßem Lächeln zwischen den Mönchen, ihrem Abt und den sonderbaren Dominikanern hin und her scharwenzelte, katzbuckelte und so leise flüsterte, daß wir es in unserer Ecke nicht mitbekamen.
    Jetzt drängte sich alles um die eisenbeschlagene Schatulle, als ihre dreifachen Schlösser geöffnet und die Dokumente herausgeholt wurden. Man breitete sie auf den Kastentisch der Estrade vor dem Richter und seinen Schreibern aus. Mein Herz fing an zu hämmern. O Malachi, dachte ich, hoffentlich bemerken sie die Unschärfe nicht, die einen Abdruck von einem Abdruck kennzeichnet. Dann dachte ich aber an die päpstlichen Bullen, die königlichen Befehle, die abertausend Ablaßbriefe, die Malachi so gut angefertigt hatte, daß sie von den echten nicht zu unterscheiden waren. Wie einfach uns das alles einmal vorgekommen war. Laß sie ruhig gefälschte Dokumente haben, wir haben besser gefälschte. Aber sie sahen sich die Schenkungsurkunde gar nicht so eingehend an, wie es erforderlich gewesen wäre. Angenommen, jemand hatte sie bestochen? Vor mir wollte sich ein Abgrund öffnen. Die Schreiber nickten und zeigten auf die Dokumente, und mir blieb schier das Herz stehen.
    »Ha, hm«, sagten sie. »Ja, es besteht kein Zweifel.« Ich hielt den Atem an. »Das Siegel ist zweifellos echt.« Ich atmete wieder, holte tief Luft. »Daraus folgt, daß diese Schenkungsurkunde älter ist als die, die Ihr gekauft habt, Euer Ehrwürden.« Der Richter schenkte dem Abt einen Blick, aus dem tiefes, geheucheltes Mitgefühl sprach.
    »Bedauerlicherweise hat irgendein Bösewicht den Advokaten mit einer falschen Urkunde hereingelegt«, sagte der Richter kopfschüttelnd und mit ernster Miene. »Wie konnte das nur geschehen? Nein, welche Schurken es zur Zeit Heinrichs II. doch gab.« Der Abt kochte vor Wut, und seine Schreiber blickten rat- und hilflos. Der Richter bedachte ihn mit einem onkelhaften Blick, beugte sich auf seinem Stuhl vor und sagte: »Nein, wie schrecklich, nein, wie peinlich. In derlei Fällen schlage ich vor, daß die Parteien das Ganze still und unter sich regeln, und das schlage ich auch hier im Namen des Königs vor. Damit erspart man sich das Geld und die Zeit, die ein Gerichtsverfahren kosten würden. Und natürlich Schmach und Schande.« Die mitfühlende Stimme hatte einen ehernen Unterton. Der Richter war offenkundig gewillt, gegen den Abt vorzugehen. Achtung, lautete die geheime Botschaft, Ihr könntet Schaden nehmen und bestraft werden.
    »Wartet«, sagte der Abt. »Ich habe weitere Beweise, daß wir mit einem gerissenen Trick hereingelegt werden sollen. In der Schatulle befand sich neben diesem normannischen Dokument ein weiterer Gegenstand. Niemand bezweifelt, daß der edle und mächtige Herzog Wilhelm die Familie de Vilers mit ihren Ländereien belehnte. Doch es geht nicht um den ganzen Besitz, sondern um seine Grenzen. Und in dieser Hinsicht schweigt sich die gesiegelte Urkunde aus.« Der Abt legte eine Pause ein und zeigte auf das zweite Dokument, das auf dem Tisch lag.
    »Dort liegt eine Urkunde in lateinischer Sprache, die angeblich auf Wunsch eines gewissen Ingolf des Sachsen aufgesetzt wurde, und in der findet sich die einzige richtige Beschreibung des strittigen Besitzes. Die Beschreibung ist genau. Unheimlich genau. Und das Dokument war nicht gesiegelt. Eine nicht gesiegelte Urkunde ist aber nicht amtlich, oder? Genau dieses Dokument ist unter die echten Dokumente geschmuggelt worden, und ich kann beweisen, daß es falsch ist.« Er wandte sich an die Mönchsschar am anderen Ende des Palas. »Bringt Bruder Halvard herbei.« Der gebrechliche Greis wurde, von zwei Mönchen gestützt, in die Mitte des Palas geführt. Ich blickte Gilbert an, der weiß wie ein Laken geworden war. Dann sah ich den Greis mit den blassen blicklosen Augen

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