Die Zauberquelle
trotzdem – und trotzdem war die Lust unbeschreiblich groß.«
»Lust? Diese böse Lust verdient eine strenge Strafe. Es wäre besser gewesen, wenn du dabei nur Schmerz empfunden hättest. Lobpreise und danke Gott, daß du am Leben geblieben bist und deine Seele reinwaschen kannst. Du bist dem Höllenfeuer näher gewesen, als du an jenem Abend geahnt hast.«
Als Sir Roger an diesem Abend in seinem kleinen Pfarrhaus saß, wurde er immer zorniger. Gerüchte über höllische Lust, übernatürliche Wesen, den liebestollen Succubus – die Sache lief aus dem Ruder. Das Weiher-Wesen würde noch zum sittlichen Verfall des gesamten Kirchspiels führen, wenn nicht etwas geschah, und zwar schnell.
»Madame, aus Achtung vor Eurem Rang würdet Ihr bei Tisch gleich neben mir und Lady de Vilers sitzen.« Bei diesen zur Probe gesprochenen Worten blickte Sir Gilbert de Vilers mit den frechen Augen des Mönchs Gregory, wollte herausfinden, ob er Land gewann. Er hatte sich nicht gedemütigt oder gebettelt, sondern hatte sie wie ein großer Edelmann zu einer Art Audienz empfangen. Und um das noch zu betonen, hatte er sein Wappen und mehrere furchterregende Waffen an der Wand gegenüber seinem Kruzifix aufgehängt, damit sie diese während der Verhandlung vor Augen hätte. Die Lanzenfähnchen und der Rest seiner Waffen, die er zusammen mit allerlei Wolfspelzen und Tierköpfen in der Diele aufgehängt hatte, gehörten seiner Meinung nach nicht in das Haus eines zivilisierten Mannes.
»Sie muß begreifen, daß sich hier etwas geändert hat«, sagte er zu dem Schatten des alten Master Kendall und trat einen Schritt zurück, um den Mißklang zu bewundern, den seine Ausschmückung zusammen mit den eleganten italienischen Wandbehängen des kultivierten Handelsherrn ergab. »Ihr wißt, daß es nicht anders geht. Margaret ist einfach zu nachsichtig mit ihnen.«
In Wirklichkeit war der Schatten Master Kendalls ganz weit fort, aber Gilbert meinte, er müsse ihm Mitteilung machen, wenn er im Haus etwas veränderte. Für sein Studierzimmer war die Entschuldigung bislang am wortreichsten ausgefallen. Das war jetzt ein stilles Plätzchen; weder liefen Lehrbuben ein und aus, noch feilschten Hansekaufleute um den Preis für russischen Zobel oder italienischen Samt, noch verlangten Kapitäne Bezahlung, und in den Ecken türmten sich auch keine Kisten mit Luxuswaren mehr. Truhen voller Bücher und Papiere säumten die Wände, auf den Truhen lagen unordentliche Manuskriptstapel, desgleichen auf dem achteckigen Schreibtisch mit dem kleinen Lesepult in der Mitte. Der durchtriebene alte Kaufmann hatte einen Sinn für gute Geschäfte; zuerst hatte er auf der Straße die schöne, aber ungebildete Margaret aufgelesen, die Kranke mit Handauflegen heilte, und hatte sie geheiratet. Und als sich sein Leben dem Ende zuneigte, hatte er wiederum Gilbert aufgelesen, um seinen innig geliebten Schatz nicht habgierigen Händen zu überlassen.
Gilbert hatte die geöffnete Tür des Studierzimmers angelehnt, er wollte in die Diele sehen können, wenn die alte Lady ihren Auftritt hatte. Der Verwalter führte sie herein, sie erblickte die Wimpel, verharrte kurz und ging dann so ungerührt weiter, als hätte sie nichts Ungewöhnliches bemerkt. Die ist genau richtig, sagte Gilbert bei sich. Zufrieden stellte er bei ihrem Eintreten fest, daß sie Haltung hatte und sich in ihrem säuberlich gebürsteten schwarzen Witwengewand gerade und aufrecht hielt. Schlau, wie er war, musterte er auch die Ärmelkanten, die Stellen, an denen ein vielgetragenes Wollkleid fadenscheinig und nicht mehr so dunkel aussah. Ja, sie hat es getan, dachte er und freute sich diebisch, daß er sie erwischt hatte. Sie hat die Stellen mit Tinte gefärbt. Genau richtig. Ihr eisengraues Haar war unter ihrer gestärkten Haube nur an einer klitzekleinen Stelle vor den Ohren zu sehen. Ihr fahles, stolzes Gesicht, weiß wie das Gebende unter ihrem Kinn, zeigte keinerlei Regung, als sie ihn würdevoll begrüßte. Vortrefflich, dachte Gilbert. Ehrerbietig, ohne devot zu sein. Ein eleganter Balanceakt, den die Mädchen auch beherrschen sollten.
Und nun lief alles prächtig. Sie hatte sein Angebot dreimal abgelehnt, wie es sich gehörte, und jedesmal hatte er ihr mehr geboten. Nun lockte er sie mit etwas, was ihr, Margaret zufolge, am meisten bedeutete, nämlich mit ihrem Platz bei Tisch. Ihre Miene blieb ungerührt. Doch sie konnte sich gerade noch den Hauch eines Lächelns auf den blassen Lippen
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