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Die Zauberquelle

Titel: Die Zauberquelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle-Riley
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Miene und schritt an ihm vorbei. Ihr Aussehen gefällt mir nicht, dachte Sir Hubert und sah ihr nach, wie sie durch die Söllertür verschwand. Der Verlust eines Kindes macht Frauen in der Regel menschlicher. Sie dagegen wirkt unmenschlicher denn je.
    »Ach, da bist du ja, William. Was ist der Gevatterin Ann zugestoßen? Sie hat sich auf Zähne verstanden, auch wenn sie selbst keinen einzigen mehr im Mund hatte. Ich habe immer gedacht, die wird so alt wie Methusalem.«
    »Sie hatte einen Unfall, Mylord. Sie wurde immer wackliger auf den Beinen und ist im Dunkeln die Treppe hinuntergefallen.«
    »Welche Treppe? Im ganzen Dorf gibt es keine Treppe, die man hinunterfallen könnte.«
    »Unsere. In der Nacht, als wir Euren Enkelsohn, Sir Hugos Erben, verloren haben. Sie hat bei der Entbindung geholfen. Beim Weggehen ist sie dann ausgerutscht.«
    »Verdammt rücksichtslos von ihr. Ausgerechnet, wenn ich sie brauche. Was mache ich jetzt mit meinem Zahn?«
    »Big Wat könnte ihn ziehen.«
    »Der Zimmermann? Dieser Schlächter? Als er der Müllersfrau einen gezogen hat, hat er ihr gleich den Kiefer gebrochen. Nein, ich lasse John von Duxbury holen. Und komm mir nicht damit, daß der auch die Treppe hinuntergefallen ist.«
    »Nein, dem soll es gutgehen. Er hat die Tochter des Viehaufsehers aus Little Hatford geheiratet und ist kein Fahrensmann mehr. Er hat genügend Kundschaft, wo er ist, und sie mag sein Wandergewerbe nicht.« Schade, dachte Sir Hubert. Als John noch als fahrender Bader Zähne gezogen und zur Ader gelassen hatte, war er regelmäßig jedes Vierteljahr nach Brokesford gekommen und hatte ihn geschröpft.
    »Ich kann aber nicht warten. Wenn du hingehst und er herkommt, dauert es zweimal so lange. Laß zwei Pferde satteln. Hugo! HUGO! Du nichtsnutziger Trottel! Reite mit mir nach Hertford, ich will mir diesen verdammten Zahn ziehen lassen.« Sir Hubert war gerade eingefallen, daß eine ehemalige Wäscherin aus Brokesford, die er ins Braugewerbe eingekauft hatte, im Schatten der Kathedrale von Hertford wohnte. Ein munteres altes Mädchen, und ein gutes Bier braute sie auch. Er hatte beschlossen, zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen. »Hugo! Beeil dich! Ich will über Nacht bleiben. Hol mir mein Schwert!« Ein flüchtiger Gedanke galt Bet, der einstigen Wäscherin. Sie hatte sowohl einen Sohn als auch ein Mädchen geboren, beide mit seinem kantigen Kinn und seinem ungestümen Wesen. Schade, daß Petronilla nichts dergleichen zuwege brachte. Vielleicht beim nächstenmal. Wenigstens war sie nicht unfruchtbar. An die Möglichkeit hatte er auch schon gedacht und sich überlegt, wie er sie ins Kloster stecken könnte, als die Kunde von der tragischen Fehlgeburt Hugo in der Fremde erreichte. Er hatte sie kurz bemitleidet und dafür gesorgt, daß sie an einen Hof geschickt wurde, wo muntere Gesellschaft sie aufheitern würde. Verschwendetes Mitleid für ein Geschöpf wie sie, sinnierte Hubert. Kalt wie ein Eiszapfen. Muß am Blut liegen. Zuviel Inzucht in der Familie. Allesamt miteinander verwandt. »Hugo! Da bist du ja. Warum hast du so lange gebraucht? Mußtest du dir das Haar ölen und dich mit Parfüm begießen? Ein Engländer sollte wie ein MANN RIECHEN! Demnächst BADEST du noch!«

    Eine warme Frühlingsbrise raschelte in den Pfirsichblüten über der Steinbank im Garten. Hohe Ziegelsteinmauern dämpften den Lärm der dahinterliegenden Stadt. Hunderte von Bienen tummelten sich in den Blüten, und das duftende Dach über der Bank summte, als wäre es lebendig. Doch die lauen Frühlingslüfte und die sprießenden Blätter hatten keine Wirkung auf Madame Agathe, die Ritterswitwe, die aus Cecily und Alison Kendall Ladys machen sollte, ob es ihnen nun paßte oder nicht. Sie saß so steif auf der Bank, als hätte sie einen Schürhaken verschluckt, neben sich ihren Korb mit Garn und Flickzeug, und ihre Nadel fuhr durch ein helles Leinenhemd, das auf ihrem Schoß lag. Jählings ein Rauschen von schwarzweißem Gefieder im Geäst.
    »Oh, guck mal, da ist ja die böse Elster!« rief Alison und zeigte mit einem Patschfinger in den Baum. Sie hatte mit ihren siebeneinhalb Jahren zwar noch ein kindlichrundes Gesicht, war aber überdurchschnittlich gewachsen und fast so groß wie ihre ältere Schwester. Die adretten Zöpfe ihres seidigen rotgoldenen Haares waren am Ende mit rosafarbenen Bändern gebunden und reichten ihr fast bis zur Taille, das heißt bis dahin, wo bei anderen Kindern die Taille gewesen wäre. Ihr hübscher

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