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Die Zauberquelle

Titel: Die Zauberquelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle-Riley
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Dominikanerkutte beiseite, die mit Flohkraut und Lavendel zusammengelegt war. »Ach, da ist es ja!« Er grub noch tiefer und förderte ein altes Trinkhorn zutage. »Nun seht euch das an. Das zeremonielle Trinkhorn Ingolfs des Sachsen. Findet ihr nicht auch, daß es dem Inhalt der Schatulle noch mehr Echtheit verleihen würde?«
    Das Horn stammte von einem Ochsen, wie ich ihn so riesenhaft noch nie gesehen hatte. Das Mundstück war aus vergoldetem Silber und mit kunstvoll verschlungenen, erhaben herausgearbeiteten Linien verziert, in die hier und da kleine Halbedelsteine eingelassen waren. Die Spitze stellte einen prächtig geschnitzten Drachen dar, dessen Hauer eine Lücke hatten, durch die anscheinend die fehlende Schnur gezogen wurde. Es sah sehr alt aus, war verdreckt und verkommen, und das Silber war schwarz angelaufen.
    »Hast du das auf alt getrimmt, Bruder Malachi?« fragte ich. »Das hast du ja wunderbar hinbekommen.«
    »Nein, es war bereits so. Einer meiner Kollegen, ein Alchimist, wollte gerade das Metall einschmelzen. Aber ich dachte bei mir, vielleicht kommt es mir eines Tages zupaß, und habe es ihm abgekauft.« Gilbert nahm das Horn in die Hand, drehte es hin und her und lächelte selig.
    »Malachi, du bist ein Künstler«, sagte er.
    »Natürlich ist er das«, sagte Mutter Hilde, und ihre Augen strahlten vor Stolz.
    »Gilbert, nicht das angelaufene Silber anfassen. Es darf, wenn es gefunden wird, keine hellen Stellen aufweisen.«
    »Ich habe nur nachgedacht. Ist das eine Art Schrift?« fragte Gilbert und deutete auf die kunstvoll verschlungenen Zeichen.
    »Falls es eine ist, dann keine, die wir lesen können. Und wenn wir zwei hochgelehrten Scholaren sie nicht lesen können, dann kann es auch sonst niemand. So haben die Sachsen – oder vielleicht die Dänen – geschrieben. Was für ein häßlicher Drache. Die Glotzaugen, die der hat, und dann kaum Nüstern. So sieht doch kein Drache aus.«
    »Herrlich barbarisch. Sogar Vater wird überrascht sein, wenn er das Ding da drinnen findet.«
    »Überraschung ist die Hauptsache. So muß dein Vater nichts vortäuschen, und die Zeugen nehmen euch alles ab, weil ihr euch wegen der Überraschung natürlich benehmt. Insbesondere Hugo. Gilbert, es ist einfach nicht zu fassen, wie du zu solch einer Familie kommen konntest. Du mußt eine Art Mißgeburt sein – so wie Caesars Pferd mit den Zehen.« Malachi stand auf, nahm seinen Ale-Becher zwecks weiterer Inspiration mit und strebte zur Tür seines Laboratoriums.
    »Ich habe immer anders herum argumentiert, Malachi: Ich bin ein ganz gewöhnlicher Mensch, und sie sind die Mißgeburten.« Gilbert folgte ihm und verschwand mit dem Becher in der Hand durch die Tür.
    »Ganz im Gegenteil, Gilbert, sie sind die Feld-Wald-WiesenMenschen…« Die Tür schloß sich hinter ihnen.
    »Komm mit in den Garten, Margaret, aber vorn herum. Ich muß Bohnen pflücken und dir tausenderlei Sachen erzählen«, sagte Mutter Hilde. Ich holte mir den Korb aus der Ecke und wollte ihr folgen.
    »Margaret, das mußt du nicht, du bist jetzt eine vornehme Lady. Es gehört sich nicht.«
    »Mutter Hilde«, sagte ich, folgte ihr, entriegelte das Gartentor und trug dabei unsere beiden Körbe. »Ich bin immer noch Margaret. Alles übrige ist – Verkleidung, wenn du weißt, was ich meine. Nichts hat sich geändert, du bist noch immer meine Lehrmeisterin.«
    »Und ist es nicht genau wie in alten Zeiten, als Malachi uns nicht erlaubt hat, durch das Laboratorium und zur Hintertür hinauszugehen, weil unsere weibliche Aura eines seiner Experimente verderben könnte?« sagte sie heiter.
    »Oder unser Schritt nicht leicht genug war und ein heikles Verfahren erschüttern konnte… Als ob er selbst so einen leichten Schritt hätte.« Mutter Hildes Garten war in goldenen Sommersonnenschein gebadet, warm hing das Obst an den Bäumen. In einer Ecke standen Bienenkörbe aus geflochtenem Stroh, und in der anderen befand sich der Schuppen mit Mutter Hildes Eselin, die Milch gab. Eselsmilch und Ziegenmilch sind für Säuglinge am besten geeignet, sagte sie immer, wenn der Mutter die Milch versiegt und man nicht schnell genug eine Amme bekommt. Aber die Eselin diente außerdem zum Tragen der Marktkörbe, oder sie trug Mutter Hilde, wenn ihr die Füße müde wurden.
    Der Garten war voller Rosenduft von den Kletterrosen, die über den ganzen Schuppen rankten. Malachi ist ein Genie im Umgang mit Metallen, Mutter Hilde jedoch im Umgang mit Pflanzen. In der sonnigen

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