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Die Zauberquelle

Titel: Die Zauberquelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle-Riley
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ein Faulpelz. Und die Brotscheiben fressen die Hunde.«
    »Das geziemt sich schwerlich«, sagte Madame.
    »Rose, Rose, Rose, ich hasse sie«, sagte Alison. Und auf einmal bekam ich Angst, daß hier auf dem Land, wo sich schier unbegrenzte Gelegenheiten zu schlimmen Streichen boten, ohne den Ansporn der abgöttischen Liebe, die die Mädchen diszipliniert hatte, Madames Regiment aus guten Manieren und Französisch nicht ausreichen würde. Lieber Gott, hol uns hier heraus, ehe sie etwas wirklich Furchtbares anstellen, betete ich im stillen.

    Als Lady Petronilla herunterkam, die alte Kinderfrau und den Beichtvater, den sie von daheim mitgebracht hatte, im Schlepptau, war es Zeit zum Abendessen, und sie sah in der Tat sehr seltsam aus. Zwar war es Sommer, und sie war keine Witwe, dennoch trug sie einen pelzgefütterten schwarzen Surkot über einer Kotta aus einem so dunklen Grün, daß es beinahe schwarz wirkte. Das honigblonde Haar war unter dem Schleier zu festen Schnecken aufgerollt und in Silbernetzen gefangen. Sie war zwar jünger als ich, wirkte aber vorzeitig gealtert. Ihr Gesicht war aufgedunsen und gelblich fahl und wies seltsame bräunliche Flecken auf, die sehr großen verblaßten Sommersprossen glichen. Ihre Augen glitzerten und schossen Blicke durch den Raum, hierhin, dorthin, bis sie an mir hängenblieben.
    »Ei, Lady Margaret, wo ist Euer Sohn?« fragte sie und lächelte breit und unheimlich. Sie strahlte etwas aus, einen Geruch, eine Aura, bei der mir alle Haare zu Berge standen.
    »Die Kinder essen für sich«, sagte ich. Wie konnten die Männer nur so unbeschwert herumstehen und nichts von der sonderbaren Ausstrahlung spüren?
    »Ganz recht, ganz recht«, sagte Hugo. »Meine liebe Frau ist in ihrem Zustand so empfindlich.« Die anderen redeten weiter über die Jagd und was sich alles in Frankreich zugetragen hatte.
    »Und Ihr, seid Ihr gekommen, um schon wieder mit einer Schwangerschaft zu protzen? Ich kann jetzt alles sehen; ich sehe die Geheimnisse, die die Menschen verbergen…« Ich merkte ihren Augen an, daß sie eine übernatürliche schärfere Wahrnehmung hatte. Es stimmte; sie konnte sehen, was andere in der Regel nicht sahen oder wofür sie blind waren. Doch ich merkte es und bekam eine Gänsehaut. »Was seid Ihr doch für ein gewöhnliches kleines Ding, Ihr benutzt Euren Sohn, um Euch Gunst zu erschleichen. Aber ich, ich habe auch einen Sohn. Einen Sohn, der von edlerem Geblüt und der Erbe ist.« Dazu lächelte sie ein hinterhältiges Lächeln.
    »Diesmal sind wir vorsichtiger. Diesmal gehen Euch alle zur Hand«, verkündete Hugo großspurig. Wieso merkte er nicht, daß hier etwas nicht stimmte? Aber dann fiel ihr Blick auf Madame, die ungerührt und blaß in ihrem schwarzen Kleid dastand und alles mitbekam. Ich blickte sie an, sah ihre Augen und wußte, daß Madame das gleiche spürte wie ich.
    »Ihr haltet nichts von mir, nicht wahr? Wer seid Ihr, Frau in Schwarz, und warum folgt Ihr Margaret wie ein Schatten?«
    »Dame Petronilla, erlaubt mir, Euch Dame Agathe vorzustellen, die zu unserem Haushalt gehört.«
    »Ihr sitzt aber nicht mit auf der Estrade.«
    »Madame ist eine Lady von Geblüt und eine entfernte Verwandte unserer Familie.«
    »Ich will diesen schwarzen Schatten nicht in meiner Nähe haben, nicht in meiner Nähe. Sie stiehlt mir das Kind aus dem Schoß. Ich weiß, ich weiß, sie raubt es mir und gibt es einer anderen. Aber das da ist meins, meins, das gegangen ist, das Ihr mir genommen habt«, sagte sie und zeigte auf meinen Leib, wo bislang noch gar nichts zu sehen war.
    »Wehe, Ihr faßt mich an«, sagte ich fest und richtete mich zu voller Größe auf. Da sie Angst vor mir bekam, fiel sie über die zerbrechliche und bleiche Madame her, die von uns abhängig war, sich nicht wehren konnte und ihre Zunge hüten mußte.
    »Sie… Sie tut das. Schafft sie hinaus, schafft sie hinaus, sag' ich«, kreischte sie plötzlich und stürzte sich mit Händen wie Klauen auf Madame, wollte ihr das Gesicht zerkratzen. Gilbert und ich fingen sie an den Handgelenken ab, und als er sie berührte, sah sie ihn gar seltsam, fast mit Ehrfurcht an und beruhigte sich.
    »Laß, laß, mein Liebchen«, sagte ihre alte Kinderfrau, die stumm neben ihr gestanden hatte.
    »Ha! Das ist der Beweis!« rief Hugo, dieser Einfaltspinsel. »Sie ist wirklich in besonderen Umständen! In diesem Zustand sind Frauen immer ein wenig unausgeglichen. Habt Ihr eine Gier nach kleinen Leckerbissen oder seltenen

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