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Die Zauberquelle

Titel: Die Zauberquelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle-Riley
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um so lauter.
    »Durch wen?« fragte sie.
    »Durch ihre Familien, wie es sich gehört!«
    »Aber Ihr seid doch auch dafür, daß man Witwen und Waisen hilft, oder?«
    »Hegt Ihr etwa Zweifel an meiner RITTERLICHKEIT?«
    Nachdem sie ihn in die Enge getrieben hatte, fragte sie, ob sie, falls sie zufällig eine arme Witwe, die es verdiente, oder eine Waise oder einen lahmen Bettler fände, das übriggebliebene Brot verteilen dürfe.
    »Nicht an lahme Bettler, da sei Gott vor. Sonst kommen sie aus jedem Dorf der Grafschaft und fallen wie Heuschrecken über uns her.«
    Das war so gut wie eine Erlaubnis, und nun stand sie da und unterwies die künftigen Nonnen in wohltätigen Werken. Ein kluger Kurs, denn damit hielt sie die beiden weitgehend von Lady Petronilla fern.

    All diese Wohltätigkeitsbestrebungen hatten auch ihr Gutes, was wir so zwar nicht geplant hatten, was uns jedoch sehr zupaß kam. Bei all dem Gerenne mit Körben zur Dorfkirche und zurück, beim Abmessen des Altartuchs und der Suche nach anderen Altartüchern, die entweder gar nicht vorhanden oder vollkommen abgenutzt waren, wurde unsere Anwesenheit kaum noch wahrgenommen. Damit lösten wir ein Problem, das mein Herr Gemahl vorausgesehen hatte, nämlich wie wir den Brief einschmuggeln sollten, in dem erklärt wurde, daß man die Schenkungsurkunde sicherheitshalber vergraben hatte. Denn falls er in der Burg gefunden wurde, könnte das ein wenig sonderbar wirken, und falls Gilbert in die Kirche ginge und sich im Kirchenarchiv zu schaffen machte, würde das nicht nur auffallen, sondern sogar Verdacht wecken. Aber wie Malachi sagte: »Du bist doch nicht auf den Kopf gefallen, Gilbert. Wenn du erst da bist, fällt dir schon etwas ein.«
    Und als wir eines schönen Morgens ins Dorf gingen, um einer armen kranken Waise, die es verdiente, einen Stärkungstrank zu bringen, drückte mir Gilbert einfach den Brief in die Hand und sagte: »Heute paßt es gut. Während du Leinen abmißt und so, kannst du gleich die Kerzenhalter in der großen Truhe nachzählen, in der die Kirchenbücher verwahrt werden. Ich habe vor, aus Dankbarkeit dafür, daß ich wohlbehalten heimkehren durfte, einen silbernen Kerzenhalter zu stiften. Wenn sie jedoch schon genug haben, könnte ich mich statt dessen zu einem Hostienteller entschließen.« Ich wußte genau, was er meinte, und schob den Brief vorn in meinen Surkot. Im Kirchenschiff trieben sich zwar Menschen herum, in einer Ecke nahm Vater Cedric die Beichte ab, und die Mädchen verteilten übriggebliebenes Weißbrot an die zahnlosen alten Männer, die sonst in der Sonne auf dem Friedhof vor sich hin dösten, dennoch bemerkte mich niemand, als ich mich die Treppe hinunter in die enge Krypta unter dem Altar schlich, um die Kerzenhalter zu zählen. Ich öffnete die große Truhe, in der die alten Kirchenbücher in der Feuchtigkeit vor sich hin moderten, holte den hübschen, künstlich gealterten und angeschimmelten Brief aus meinem Surkot und schob ihn zwischen die Seiten des am ältesten aussehenden Kirchenbuches. Als ich Schritte auf der Treppe hörte, klappte ich den Deckel zu und rief: »Drei Kerzenhalter! Er sollte lieber einen Hostienteller stiften! Oh, Madame, Ihr seid das. Kann ich Euch behilflich sein?«
    »Die Mädchen haben das Brot verteilt. Wo habt Ihr den Stärkungstrank hingestellt?«
    »Oben zu den Kinderkitteln, die die Mädchen genäht haben.« Ja, ja, so geht es. Flink wie Reineke Fuchs, der sich das beste Huhn nimmt und auf Nimmerwiedersehen verschwindet.
    »Dame Margaret«, sagte Madame, als wir die einzige Straße im Dorf entlangschritten, »ich muß mich bei Euch für etwas entschuldigen, was mir seit einigen Tagen auf der Seele liegt.« Jenseits des Dorfes plätscherte und schimmerte der Bach in der Sommersonne.
    »Dame Agathe, ich kann mir nichts vorstellen, wofür Ihr Euch entschuldigen müßtet.«
    »Madame, es war unverzeihlich von mir, Euer Haus zu verlassen, und ungehörig obendrein. Ich habe geglaubt, daß Euch Wollust in die Arme von Eures seligen Mannes Schreiber getrieben hat. Doch jetzt weiß ich vom Kaplan, daß man Euch zur Ehe gezwungen hat.«
    »Der alte Mann wollte Master Kendalls Geld in die Finger bekommen«, sagte ich.
    »Euer Gemahl hat ein ehrenhaftes Herz. Ich habe ihn falsch eingeschätzt. Auch Euch habe ich falsch eingeschätzt. Und dennoch habt Ihr mir, barmherzig wie Ihr seid, einen Platz an Eurer Tafel zugestanden. Das ist wahrhaft christlich gedacht, Madame, und ich entschuldige mich aus

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