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Die Zauberquelle

Titel: Die Zauberquelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle-Riley
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Früchten?«
    »Es gibt durchaus seltene Früchte, die ich kosten möchte«, sagte sie mit einem Seitenblick auf Gilbert, bei dem mich schauderte. »Aber die hole ich mir selbst«, sagte sie mit funkelnden Augen.
    »Mein Herzchen ist von zarter Gesundheit, seit sie vom Hof des Herzogs zurück ist«, sagte die Kinderfrau.
    »Madame, vielleicht wäre es das beste, Ihr zieht Euch in Eure Kammer zurück, ruht Euch aus und laßt Euch das Abendessen hochbringen«, sagte ihr Beichtvater, Bruder Paul, ein abgebrühter Augustiner, der schon lange in ihrer Familie war und vom ewigen Katzbuckeln etwas gebückt wirkte.
    »Scheint mir auch das beste zu sein«, dröhnte Sir Hubert, und somit war es abgemacht. »Madame, Ihr müßt dem Erben zuliebe auf Eure Gesundheit achten.« Das konnte doch nicht sein. Ich meinte, unter ihrem schweren Surkot eine Wölbung zu sehen.
    »O ja«, sagte sie und warf Sir Hubert einen schmachtenden Blick zu. »Das ist wahr. Ich muß jetzt an zwei denken.« Und dann blickte sie sich mit glitzernden Augen im Raum um und ließ sich wieder nach oben in die Turmkammer führen, die sie mit Hugo, Hunden, Falken und Leibdienern teilte.

    »Du hast von dem Brot abgebissen, Alison. Igitt, jetzt können wir es nicht mehr verschenken. In den Hundekorb damit.« Ich sah zu, wie Cecily das Brot wegwarf und Alison es wieder aus dem Korb holte und musterte.
    »Das war ich nicht«, sagte sie, nachdem sie es hin und her gedreht hatte.
    »Doch. Das sind deine Zahnabdrücke. Die kenne ich. Außer dir hat niemand so kleine Zähne.«
    »Es sind deine«, bemerkte Alison, »und mir gibst du die Schuld.«
    »Sind sie nicht. Mein Leben ist so furchtbar tragisch, daß ich kein Brot mehr anbeiße. Nonnen vergessen nie, daß man Brot abbricht. Ich lege mir einen Klosternamen zu, ›Mary‹, nach der Schmerzensreichen Jungfrau. Mir ist nichts als Trübsal, ewige Trübsal beschieden.« Madame blickte belustigt, und ich konnte mir kaum das Lachen verbeißen.
    »Mademoiselle Cécile«, sagte Madame, »Eure Stiche sind jetzt so fein, daß Ihr mir beim Besticken eines Altartuches helfen könnt.«
    »Meine Stiche sind genauso fein wie Cecilys. Ich will auch helfen.«
    »Sind sie nicht, und außerdem hast du dauernd Schmutzpfoten…«
    »Mademoiselle Alison, Ihr dürft die einfacheren Stickereien ausführen, aber nur, wenn Ihr sehr, sehr artig seid«, meinte Madame.
    Die Sonne strahlte vom mittäglichen Himmel, wir hatten gerade gegessen, und Madame überwachte das Einpacken der Überbleibsel und Brotreste in die Körbe, einen für den Hundezwinger, einen für die Armen. Es hatte ein gewaltiges Gewitter gegeben, als Madame den Blick auf Sir Hubert richtete und um Erlaubnis bat, sich auf ihre bescheidene Art nützlich machen zu dürfen, indem sie seinem Kaplan dabei half, den Armen die Essensreste zu bringen.
    »Wollt Ihr meine Großzügigkeit in Frage stellen?« brüllte mein Schwiegervater mit grimmiger Miene.
    »Wie?« sagte sie mit Unschuldsmiene. »Soll das heißen, Ihr verteilt das restliche Brot nicht? Dann sind Sitten und Gebräuche in dieser Grafschaft wohl anders. Ich bitte vielmals um Vergebung, aber ich kenne mich hierzulande nicht aus. Bitte nehmt meine untertänigste Entschuldigung entgegen, verzeiht mir meine unbedachte Unterstellung.« Die Entschuldigung hätte ihn vielleicht beruhigt, aber mit der ›unbedachten Unterstellung‹ hatte sie es übertrieben. Das schmeckte nach Ironie und einem gewissen boshaften Trotz, den er sonst mit meinem Herrn Gemahl in Verbindung brachte, seinem Unruhe stiftenden Sohn Gilbert. Da er sich jedoch mit Gilbert gutstellen mußte, bis sich ein günstiger Augenblick bot, die Schatulle zu vergraben, brüllte er Madame an.
    »Almosen verteile ich an FESTTAGEN! Am Pfingstsonntag erhalten Konvertiten von mir Kleider! Unser Herrgott verlangt nicht, daß wir das LETZTE HEMD hergeben!«
    »Ah, ja. Dann habt Ihr also am Pfingstsonntag viele erwachsene Konvertiten.« In Wirklichkeit gab es, glaube ich, nur einen, einen armen Blöden, dessen Eltern ihn aufgegeben und sich daher nicht der Mühe unterzogen hatten, ihn als Kleinkind taufen zu lassen. Das hatte für einiges Aufsehen gesorgt. Sir Hubert machte, falls erforderlich, gern aus einer Mücke einen Elefanten.
    »Warum wollt Ihr Faulpelze auch noch belohnen?« schrie er.
    »Und was ist mit armen Witwen und Waisen?« fragte sie zurück.
    »Gibt es nicht! Sind allesamt versorgt!« Da er wußte, daß er sich auf unsicherem Gelände befand, brüllte er

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