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Die Zauberquelle

Titel: Die Zauberquelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle-Riley
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unsaubere Schlange, bei dem Richter der Lebendigen und der Toten, bei dem Weltenschöpfer, der die Macht hat, in die Hölle zu werfen, verlasse den Leib dieser Frau. Hebe dich hinweg besiegt und gedemütigt, o übler Leviathan, denn solches befehlen wir dir im Namen unseres Herrn Jesus Christus, der da kommt zu richten die Lebendigen und die Toten mit Feuer…« Der Kanoniker beugte sich über das Gesicht der Irren, und seine Augen funkelten gar eigenartig. Sie spuckte ihm ins Auge. Er schrie auf und zuckte zurück. »Es brennt! O Jesus, es brennt! Das ist die Saat des Teufels. Der Dämon ist frei! Ich bin vernichtet!« Er taumelte zurück, griff sich ans Herz und mußte von seinen Geistlichen gestützt werden. »Ich kann ihn sehen, er ist gräßlich, ungeheuerlich und speit tausend Flammen. Er fliegt durch den Raum!« Ein Schrei des Entsetzens durchlief die Menge der Gaffer, sie fuhren zurück und bekreuzigten sich. »Und jetzt, o wie widerwärtig, schlüpft er durch das Ohr in die Frau zurück. Leviathan, der gefährlichste Dämon von allen!« Ich sah, wie sich die Menschen die Hände auf die Ohren legten. Die Irre jedoch wurde von einem Anfall unpassenden Gelächters erfaßt.
    »Das ist Balam«, hörte ich murmeln. Balam, ha, dachte ich. Sie hat es geschafft. Sie kann dieses Spielchen so lange spielen, wie es ihr gefällt. Was das Nasführen angeht, sind sie und der Kanoniker vom gleichen Schlag, und das Spiel gefällt allen so gut, daß sie mitmachen. Sie ist doppelt so schlau wie jeder Dämon, von dem ich je gehört habe, und obendrein gerissener. Lieber Gott, behüte mich vor dieser Frau, dachte ich. Lieber Gott, bring mich und die Meinen in Sicherheit. Himmlischer Vater…
    »Seht sie euch an, seht hinüber zu der Frau, die sich Margaret nennt«, kam die Stimme der Irren. »Seht ihr den Schein um ihr Gesicht? Es ist das Licht der Hölle, trügerisch und böse. Sie hat mir genommen, was mein war, und das soll ihr Tod sein. Ich werde ihre Tage zu Staub und Asche machen.« Menschen drehten sich um und blickten mich an, doch vor Schreck war das schwache rotgoldene Licht erloschen, daher sahen sie nichts. Gott sei Dank haben gewöhnliche Menschen nicht so scharfe Augen wie Irre.
    »Das muß Behemoth sein«, murmelte die Menge, als ob sie bei einem Turnier die Schilde zuordnete.
    »Leviathan hätte sich beinahe losgerissen«, sagte der Kanoniker. »Wir werden ihn bis Sonnenuntergang exorzieren, doch falls die anderen nicht gewichen sind, machen wir morgen weiter.«
    »Ausgezeichnet«, sagte Sir Hubert mit zufriedener Miene. »Solche Ungeheuer müssen eine große Prüfung für Eure gewaltigen Kräfte sein. Ich bin sehr dankbar, daß unser Königreich einen Dämonenaustreiber Euresgleichen besitzt.«
    Sie arbeiteten den ganzen Tag, legten nur Pausen für Erfrischungen ein, bis Leviathan am Ende in Form stinkenden schwarzen Kots ausfuhr, was alle faszinierte. Dann sagte der Kanoniker, er müsse den Leib der Irren in aller Abgeschiedenheit nach Anzeichen von Dämonen prüfen, denn die machten sich gern durch einen Schlitz unter der Brustwarze davon, und Lady Petronilla mit ihren hochgeschlagenen Röcken, verdreckt und zerzaust, wie sie war, schenkte ihm ein wölfisches Grinsen. Oh, schön, dachte ich. Nichts wie raus hier.
    Doch als wir uns zum dritten und, wie sich herausstellen sollte, vorletzten Tag der öffentlichen Dämonenaustreibung einfanden, kam uns Sir Thomas schon am Kirchenportal entgegen. Sein schlichtes Gesicht strahlte.
    »Sir Hubert, Sir Hubert, ich habe im Kirchenarchiv einen sehr wertvollen Brief gefunden!« rief er und zeigte uns das verschmutzte zerknüllte Blatt aus Malachis kleiner Werkstatt. An diesem Tag befanden wir uns in Gesellschaft ganz hervorragender Zeugen: Bauern, Pilger, zwei Lords auf der Durchreise und der Abt höchstpersönlich mit drei Mönchen, die sich die Methoden des Kanonikers ansehen wollten.
    »Wedelt mir damit nicht vor der Nase herum, ich kann kein Wort lesen«, sagte Sir Hubert. »Erzählt mir lieber, worum es geht, und bittet den trefflichen Kanonikus hier, ihn mir vorzulesen. Ich hege die größte Hochachtung vor seinen Lesekenntnissen.« Bei diesen Worten blähte sich der Kanoniker mächtig auf. In den vergangenen zwei Tagen hatte er sich zum Helden hochstilisiert, und Kinder und alte Frauen folgten ihm überall, bettelten um eine Berührung, um weise Worte, um Austreibung von Ratten, Würmern und anderen Plagen. Zudem hatte er gute Nebenverdienste gemacht, indem er

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