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Die Zauberquelle

Titel: Die Zauberquelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle-Riley
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auf die Kunst der Verstellung. Falls dieser gräßliche Bruder Paul irgend etwas argwöhnt – und das steht ihm ganz deutlich ins Gesicht geschrieben –, dann weiß auch er bereits, was wir finden. Sir Hubert wird uns verraten. Doch Malachi war so klug gewesen, auch für diesen Fall vorzusorgen. In der Schatulle lag etwas, was der Herr von Brokesford noch nie gesehen hatte.
    Knarzend gaben die alten Angeln nach, und im gefleckten Sonnenlicht unter den Bäumen konnten alle sehen, daß die Schatulle Papiere barg. Papiere und noch etwas.
    »Was ist das für ein Ding?« fragte Sir Hubert erstaunt und stieg plötzlich vom Pferd. »Gebt her. Bei allen Heiligen, ein Horn! Einen solchen Ochsen hat man seit Anbeginn der Zeit nicht mehr gesehen! Nicht zu fassen, wie groß dieses Untier gewesen sein muß! Nur ein Held konnte solch einen wilden Ochsen erlegen.« Das alles war vollkommen echt und unverstellt. Verschwunden der schlaue Blick unter halbgeschlossenen Lidern. Er machte große Augen und zeigte echte Überraschung und Bewunderung. Dieser Ausdruck ließ sich nicht mißdeuten. Dem Abt hatte es die Petersilie verhagelt. Sir Hubert winkte den Kanoniker herbei. »Was haltet Ihr von dem Zeug um den Rand herum? Hier im Silber?« Er kratzte an der angelaufenen Stelle, und die merkwürdigen erhabenen Linien traten zutage. Wo sein Daumen gerieben hatte, schimmerten sie matt auf dem schwarzen Hintergrund. Der Kanoniker kniff die Augen zusammen und rieb seinerseits.
    »Das ist eine uralte Schrift, glaube ich. Aber ich kann sie nicht lesen. Die kann kein Lebender mehr lesen. So etwas habe ich schon einmal gesehen, auf einer Brosche, die in Salisbury beim Pflügen entdeckt wurde.« Die Geistlichen hatten sich um das Horn geschart und versuchten, die merkwürdigen Schriftzeichen zu entziffern, aber vergebens.
    »Die Pergamente, Vater, laßt sie vorlesen. Vielleicht sagen uns die ja, was das ist«, sagte Hugo und griff nach den Papieren in der Schatulle.
    »Vorsichtig, Junge, daß sie uns nicht zerfallen, ehe sie vorgelesen sind.« Als der Kanoniker die Urkunde mit dem schweren Siegel des mächtigen Herzogs Wilhelm, des Eroberers Englands, entfaltete, machte der Abt ein langes Gesicht.
    »Mylord, es handelt sich um eine Urkunde, in der ein gewisser Guillaume de Vilers, der treue Diener Wilhelm des Eroberers, mit allen Ländereien Ingolfs des Sachsen belehnt wird. Sie bestätigt ihm das Erbe, das er durch Heirat mit einer gewissen Aelfrida, Ingolfs Tochter, bereits besitzt, und fügt dem noch ein Stück Land hinzu, das dem verstorbenen Sohn Ingolfs gehört hat.«
    »Das sagt uns nichts, was wir nicht schon wissen«, meinte der Advokat und legte die Stirn in Falten.
    »Ei der Daus, aber gewiß doch«, meinte Hugo. »Von diesem Burschen, diesem Ingolf, habe ich meiner Lebtage noch nicht gehört, aber ganz sicher hat er lange vor Heinrich II. gelebt. Macht Euch auf eine Niederlage gefaßt, Kerl. Am Gerichtstag sehen wir uns wieder.«
    »Es steht nichts über die Grenzen darin, was wir nicht bereits wissen«, sagte der Advokat, der sich herangedrängelt hatte und über die Schulter des Kanonikers beflissen mitlas.
    »Das Horn, steht da nichts über das Horn?« fragte Sir Hubert. »Lest weiter, mit Verlaub, lest weiter, Herr Kanonikus. Seht Euch die anderen Dokumente an.«
    »Das hier ist in altertümlicher Mönchsschrift von einem Priester aufgezeichnet, der Schreiber bei Ingolf dem Sachsen war. Dieser hat seiner Tochter Aelfrida und ihren Erben auf ewige Zeiten Besitz und Sorge für die gnadenreiche Quelle der heiligen Edburga übertragen, zusammen mit den heiligen Eiben und dem Land, auf dem der heilige Eichenwald steht, dessen Grenzen Steine bei Lesser Beechford und Hamsby kennzeichnen.«
    »Gut, das wär's dann. Besitz kann nicht in der weiblichen Linie vererbt werden.«
    »Nein, Herr Oberadvokat, nach normannischem Lehnsrecht wurde Aelfridas Besitz zu de Vilers Besitz. Ja, es handelt sich dabei ganz eindeutig um diese Stelle. Hier wird auch der große Felsen und gleich daneben die Einsiedelei der heiligen Edburga beschrieben. Aha, da kommt Eure Stelle, Mylord. Da geht es um das Horn. Hier steht, als Zeichen des Dankes, weil Sieur Guillaume de Vilers ihm das Leben gerettet hat, schenkt er ihm sein eigenes Trinkhorn, das aus grauer Vorzeit auf ihn gekommen ist, doch erst nach seinem Tode. Er bittet ihn, dem Horn einen Ehrenplatz in seinem Palas zu geben und einmal im Jahr zu seinem Gedächtnis daraus zu trinken.« Du liebe Zeit, das

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