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Die Zauberquelle

Titel: Die Zauberquelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle-Riley
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über den wohlhabenden Pilgern, die sich zu seiner Wunderaustreibung eingefunden hatten, Gebete sprach. Die Kirche war auf dem besten Weg, zu einem richtigen Buntglasfenster zu kommen, zumindest aber zu einem prächtigen Wandgemälde, und jedermann war mit dem Lauf der Dinge höchst zufrieden, nur ich nicht, denn ich wäre am liebsten ausgerückt, und Lady Petronilla auch nicht, doch die war ohnedies nie zufriedenzustellen.
    »Es ist ein sehr alter Brief, aus dem Zeitalter der Anarchie, von einem gewissen Gaultier de Vilers.«
    »Ha! Einer meiner Ahnen. Derlei Kuriositäten sammle ich gern.« Der Abt blickte beunruhigt drein. Ich sah ihm an, daß er Sir Thomas den Brief am liebsten aus der Hand gerissen hätte.
    »Es geht um mehr. Mylord Kanonikus, mit Verlaub, lest Sir Hubert den Brief vor.« Der Kanoniker hustete und räusperte sich, kniff die Augen zusammen und entzifferte langsam die altertümliche Handschrift.
    »›… und in der Furcht, daß die Burg von den uns umgebenden Feinden bis auf die Grundmauern möchte niedergebrannt werden, haben wir die größten Schätze von Brokesford sicher vergraben…‹ Dann, Mylord, stehen hier Anweisungen, wie man das Versteck auffinden kann. In der ostwärts gelegenen Ecke der Einsiedelei der heiligen Edburga. Gibt es eine solche Einsiedelei auf Eurem Land?« Ich merkte, wie die Augen des Abtes schmal wurden. Wut stand ihm ins Gesicht geschrieben.
    »Nun ja, keine richtige. Aber es gibt Ruinen…« Sir Hubert sah nachdenklich aus und strich sich den Bart.
    »Die Quelle, die Quelle!« rief Hugo. »Vater, wir müssen sofort dort graben!« Ich konnte sehen, wie der Abt Hugo beobachtete, und seine Gedanken waren so durchscheinend wie Wasser. Hugo, der Tölpel, dachte er. Der ist zu keiner Täuschung fähig. Was es auch immer sein mag, er hat keine Ahnung.
    »Hugo, dieser heiligmäßige Mann muß seiner Pflicht nachkommen. Was sind schon Schätze aus grauer Vorzeit, verglichen mit den Schätzen des Geistes.« Er warf einen Blick zu den Mönchen hinüber, die es auf einmal eilig mit dem Aufbruch zu haben schienen. »Aber ich schicke meinen Verwalter und eine Wache zu der Stelle, bis wir dort suchen können – vielleicht heute abend.« Die Bauern, die um die Sorgen der Burg wußten, riefen allesamt: »Auf zur Einsiedelei! Auf zu den Ruinen! Dort ist ein großes Geheimnis vergraben!« Aber Sir Hubert hob die behandschuhte Hand, um sie zu beruhigen. Lady Petronilla zürnte, weil sie nicht länger bewunderter Mittelpunkt war, und fing an, auf ihrem Brett zu fauchen und zu zappeln.
    »In mir stecken noch viele Teufel«, sagte sie. »Geister aus der Hölle tanzen um mich herum. Und aus mir spricht die Stimme der Weissagung. Das Ding in den Ruinen ist falsch, falsch, falsch!«
    »Hmm«, sagte Gilbert. »Da spricht der Dämon. Welchen Zweck mag er verfolgen, wenn er uns davon abhalten will, in den Ruinen zu graben?«
    »Ein gutes Argument«, sagte der Kanoniker. »Der Dämon ist sehr gerissen. Wir sollten genau das tun, wovon er abrät.« Der Abt bebte vor Zorn.
    »Oh, ich möchte die Erlösung von Lady de Vilers auf gar keinen Fall verzögern«, sagte Gilbert mit entsetztem Blick.
    »Kommt her zu mir, sprecht mit mir! Sucht mich nach Zeichen ab. O betrachtet meinen weißen Leib noch einmal, Priester!«
    »Ich mache weiter«, sagte der Kanoniker, dessen Wort hier galt. Er blickte den Abt an, legte jedoch die Anzeichen von Ungeduld bei ihm falsch aus. »Aber morgen«, fuhr er fort. »Der Dämon begehrt auf, er muß abgekühlt werden.« Er gab seinen Geistlichen ein Zeichen: »Taucht sie in den Dorfteich, bis die Dämonen demütig geworden sind, danach schafft ihr sie wieder an Ort und Stelle.« Sie schrie Verwünschungen, als man sie fortbrachte, und der Kanoniker schüttelte den Kopf. »Heute dünken sie mich stärker. Eindeutig stärker. Sie müssen ermattet werden, ehe ich mich wieder an die Arbeit mache.« Der Abt warf ihm einen bösen Blick zu und stieg auf seinen Zelter. Und da rannten die Bauern auch schon mit Schaufeln bewaffnet querfeldein in Richtung Wald.
    Widerstrebend – und das spielte er prachtvoll – riß sich Sir Hubert vom Friedhof los und stieg auf sein Pferd. Madame, die neben mir stand, blickte zu ihm hoch und dann mich an. Mein Gesicht war ausdruckslos. Ihres auch. Dann blickte sie zur Kirche hinüber und darauf in die Ferne, so als müsse sie nachdenken. Mir schoß ein Gedanke durch den Kopf. Hatte sie mitbekommen, daß ich den Brief eingeschmuggelt hatte? Nein,

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