Die Zauberschatten - Goryydon #2 (German Edition)
tröstend. »Ganz ruhig, Mädchen. Es wird alles wieder gut.«
Michaela befreite sich aus der Umarmung. Sie konnte es nicht leiden, wenn man sie betatschte, wenn sie Kummer hatte. Sie wischte sich die Tränen fort.
»Du hast recht, wir sollten sie fortbringen.« Ihre Ablenkung funktionierte.
Ku’guar nickte. »Ich baue eine Trage, die von den Pferden gezogen werden kann.«
Zitternd verfolgte sie Ku’guars Arbeit. In was war sie nur hineingeraten? Auf keinen Fall wollte sie den Monstern ein weiteres Mal begegnen. Sie musste raus aus diesem Wald und in die Nähe eines Handy-Sendemastes, um Hilfe zu rufen. Wenn sie erst außerhalb dieses Waldes war, wäre alles wieder in Ordnung. Sie konnte nach Hause gehen und alles wäre gut. Ihr Verstand weigerte sich, etwas anderes zu glauben. Sie sehnte sich nach ihrem Zuhause.
Ku’guar befestigte an einem der Pferde die Trage. Das Tier schnaubte unruhig, hatte ihn aber herankommen lassen, während die anderen versucht hatten, ihn zu beißen oder nach ihm auszuschlagen.
Sie hatte noch nie erlebt, dass sich Pferde so seltsam benahmen. Ein derartiges Verhalten legten sie nur an den Tag, wenn sich ihnen Raubtiere näherten.
»Was machen wir mit den Toten?« Sie hasste sich dafür, kindlich und gleichzeitig verängstigt zu klingen.
»Wir müssen sie liegen lassen. Wir können sie nicht mitnehmen und mit den Begräbnisriten der Goryydoner bin ich nicht vertraut.«
Sie war erleichtert, dass er nicht von ihr erwartete, dass sie die Toten berührte, auch wenn es einem Teil von ihr nicht recht war, die Leichen offen herumliegen zu lassen. »Was ist mit Raubtieren? Müssen wir uns nicht darum kümmern, dass sich niemand über die toten Körper hermachen kann?«
Ku’guar schmunzelte. »Hier gibt es keine Tiere, die Leichen appetitlich finden und für die Aasfresser sind sie noch zu frisch. Also keine Sorge, Mi-challa.«
»Was ist mit den Pferden?«
»Lassen wir ebenfalls zurück. Trinken können sie an dieser Quelle und Fressen finden sie auf dieser Lichtung ausreichend. Es geschieht ihnen nichts. Sie würden uns nichts nützen. Wir dürften ohnehin nicht allzu schnell reiten, damit die Frau nicht von der Trage fällt.«
»Sie heißt Kalira«, erklärte Michaela.
Ku’guar nickte. »In Ordnung, ich bin so weit, brechen wir auf?« Ku’guar versetzte dem Pferd einen leichten Klaps und führte es am Zügel.
Sie erinnerte sich an seine Bemerkung mit den Begräbnisriten. »Wer oder was sind Goryydoner?«
Er warf ihr einen verwunderten Blick zu. »Die Toten.«
Sie verdrehte die Augen. Das durfte alles nicht wahr sein. Klar, das waren Goryydoner, darauf hätte sie wirklich von allein kommen können.
Michaela schob die herunterhängenden Zweige einer Weide beiseite und blickte auf eine vorsintflutliche Landschaft. Keine asphaltierten Straßen, keine Strommasten, keine Autos. Stattdessen entdeckte sie staubige Feldwege und kleine, schäbig anmutende Hütten, die sich über das Land verteilten.
Sie schnappte schockiert nach Luft. Einen Moment befiel sie eine Art Gehirnlähmung. Michaela ließ ihren Blick schweifen. Nicht weit entfernt sah sie einen Mann auf einem Ochsenkarren westwärts fahren. Die Räder wirbelten Staub hinter sich auf und an der Art, wie der Leib des Mannes durchgeschüttelt wurde, vermutete sie, dass die Federung des Gefährts schlecht bis miserabel sein musste.
»Wo zum Teufel sind wir?« Ihre Verwirrung wuchs von Sekunde zu Sekunde. Gab es in Deutschland überhaupt noch solch rückständige Gegenden? Wenn ja, wo genau befand sie sich dann? Und wie kam sie hierher? Sie musste noch in Deutschland sein, denn trotz der seltsam altertümlichen Ausdrucksweise hatten alle, denen sie seit letzter Nacht begegnet war, deutsch gesprochen.
»In Goryydon.« Ku’guar trug wieder seine verständnislose Miene zur Schau.
Am liebsten wäre sie ihm an die Gurgel gegangen, aber sie bezweifelte, damit gegen einen Irren anzukommen. Also unterdrückte sie ihren Zorn so gut wie möglich. »Wie nennen die Menschen, die hier leben, diese Gegend?«
Er zuckte mit den Schultern. »Sie nennen ihr Reich Goryydon. Man sagte mir, das bedeute so viel wie grünes Reich.« Er musterte sie mit einer Mischung aus Verwirrung und Mitleid. Zweifellos glaubte er, sie habe einen Dachschaden.
»Is ja geil!« Sie erinnerte sich an ihr Handy. Außerhalb der Bäume müsste sie wieder ein Netz empfangen. Sie hielt das Smartphone in die Luft, drehte sich im Kreis und versuchte einer der
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