Die Zauberschatten - Goryydon #2 (German Edition)
die sie nicht zerfetzen und fressen wollten. Sie trat auf Reisig, das unter ihren Schritten brach, um im nächsten Moment über dickes, weiches Moos zu flitzen.
Sie keuchte, achtete weder auf ihre schmerzenden Füße noch auf das Stechen in ihrer Seite. Der Graue war ihr dicht auf den Fersen. Sie spürte bereits seine dürren Finger an ihrer Schulter. Panik schoss ihr vom Magen in den Schädel hinauf. Ein Schluchzen wollte sich ihren Lippen entringen, stattdessen hallte durch ihren Geist: Nein, bitte nicht …
Aus den Augenwinkeln sah sie eine Bewegung. Etwas fauchte und kreischte. Michaela fühlte, wie der Graue von ihr fortgerissen wurde. Einen Moment meinte sie, das Schreien einer Wildkatze zu hören.
Sie stürzte hart zu Boden. Schmerz schoss in ihre Knie und sie fing den Fall mit den Händen ab. Ihr Hirn schien gegen die Schädeldecke zu prallen und Michaela stöhnte. Die Morgensonne schien ihr ins Gesicht und raubte ihr für einen Moment die Sicht.
Sie rappelte sich auf und entfernte sich stolpernd. Im Gebüsch seitlich hinter ihr schien ein Handgemenge stattzufinden. Jemand oder etwas kämpfte mit dem Grauen. Weil Erschöpfung und Schmerz Michaela an den Rand ihrer Kräfte gebracht hatten, hielt sie inne und blickte zurück.
Sie schrie auf, als der Graue herausstürmte und stolperte nach hinten. Die Arme schützend erhoben, plumpste sie ein weiteres Mal unsanft zu Boden, diesmal auf ihr Hinterteil. Statt sich auf sie zu stürzen, rannte das graue Männchen in die andere Richtung davon. Sie blickte ihm nach und zögerte, während sie sich mühsam erhob. Das Laubwerk raschelte und ihr Retter stöhnte. Ein sehr menschliches Stöhnen, wie Michaela erleichtert erkannte.
»Hallo?«
Der Mann antwortete nicht. Sie holte ihr Smartphone heraus. Das Display leuchtete, doch auf Empfang ging es nicht. Dennoch wählte sie den Notruf und wartete geduldig. Die Leitung war tot. Natürlich. Aufgebracht schüttelte sie das Handy, ehe sie es abschaltete und in die Hosentasche stopfte.
»Hallo, ist alles in Ordnung? Soll ich Hilfe holen?«, fragte sie. Sie hatte zwar keine Ahnung, wo sie Unterstützung finden konnte, aber zurücklassen wollte sie ihren Helfer nicht.
»Nicht nötig«, erklärte der Unbekannte rau.
Der Mann erhob sich. Sein sandblondes Haar hing ihm wild ins scharf geschnittene, kantige Gesicht. Die freundlichen, hellbraunen Augen milderten die Schärfe der Züge nur wenig, und erst als er lächelte, verlor der Mann sein hartes Aussehen.
Sie erwiderte sein Lächeln zögernd. Der Fremde erschien ihr nicht unsympathisch, aber der ungewöhnliche Ort und seine Nacktheit führten nicht dazu, dass sie sich in seiner Gegenwart wohlfühlte. Gab es denn in dieser Gegend nur Verrückte? Sie überlegte, wie sie sich davonmachen konnte, ohne unhöflich zu wirken. Er schien ihre Irritation zu bemerken.
»Ich habe geschlafen, als ich dich und den Graugnom durch den Wald jagen hörte.«
»Du schläfst nackt, in der Natur?« Michaela verkniff sich jeden weiteren Kommentar und er ging auf ihre rhetorische Frage ohnehin nicht ein.
»Wenn es dir recht ist, ziehe ich mich an«, entgegnete er und trat ungeniert aus dem Gebüsch.
Michaela riskierte einen kurzen Blick, um sich zu vergewissern, ob er wirklich splitterfasernackt mitten im Wald herumstand. Sie folgte ihm in einigem Abstand, bis er zu seiner Lagerstelle kam. Die glühenden Überreste eines Feuers erinnerten Michaela an Kalira und Ranon. Ihr Retter riss sie aus ihren Gedanken. »Wie ist dein Name?«, fragte er, während er nach einem Kleiderbündel griff und damit hinter einem Baum verschwand.
»Michaela.«
»Sei gegrüßt, Mi-challa, mein Name ist Ku’guar.«
»Ku’guar? Waren deine Eltern Hippies?«
»Ich verstehe nicht? Woher kommst du? Deine Sprache ist seltsam«, warf er ein.
Sie dachte dasselbe, weil sie aber keine Lust hatte, darauf einzugehen, blickte sie sich neugierig um. Ku’guar hatte auf der Lichtung ein primitives Lager errichtet. Über einem Busch war eine Decke ausgebreitet, an einem Baum hingen eine klobig aussehende Bratpfanne und ein einfacher Rucksack. Ein Ring aus faustgroßen Steinen sicherte die Feuerstelle. Nicht weit davon waren Holzscheite aufgeschichtet.
Erneut holte sie ihr Handy aus der Tasche und versuchte erfolglos, zu telefonieren.
»In Ordnung, kann ich dich irgendwo hinbringen?«, bot Ku’guar an.
Sie wandte sich ihm zu. Wo zum Teufel war sie gelandet? Gab es hier wirklich nur Verrückte?
Er trug Beinlinge, die an
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