Die Zauberschatten - Goryydon #2 (German Edition)
streckte sich.
»Nicht nötig, das kann ich tun«, widersprach Ku’guar.
»Streitet ruhig, wer zuerst den Aufpasser mimt, von mir aus die ganze Nacht. Aber bitte nicht zu laut«, sagte Michaela kauend und warf Maronischalen in das Feuer. Sie holte sich ihre Decke, zog sie über den Kopf und kuschelte sich auf den Boden.
»Leg dich hin, Juliane, ich benötige keinen Schlaf. Ich passe auf.« Ku’guar umrundete das Feuer und setzte sich auf den Boden.
Zögernd wickelte sie sich in eine der Decken. »Was heißt das, du brauchst keinen Schlaf?«
»Einer der wenigen Vorteile eines Semchais ist es, in der Tiergestalt nicht ruhen zu müssen.«
Sie setzte sich und beugte sich interessiert vor. »Aber ich habe dich schlafen sehen?«
Ku’guar hob seine Tatze und strich sich durch das Gesicht. Eine Geste, die verblüffend der einer Katze ähnelte, während seine Miene menschlich wirkte. »Du hast mich dösen sehen. Semchais schlafen nur, wenn sie noch jung sind oder krank.« Seine Ohren richteten sich auf. Er sah sie neugierig an. »Wie ist es, zu träumen?«
Juliane zog die Decke fester um ihre Schultern. »Du weißt nicht, wie es ist, einen Traum zu haben?«
Ku’guar nickte knapp. »Meine Kindheit liegt lange zurück. Ich erinnere mich nicht mehr.«
»Es gleicht dem Wachzustand und ist doch ganz anders. Du bist nicht Herr über deinen Willen und manchmal scheint alles wie im Nebel. Im Traum ist alles und zugleich nichts möglich.«
Julianes Stimme klang mit einem Mal rau. Aran, alles, wovon sie träumte, sobald sie die Augen schlösse, wäre er. Sie wollte ihn nicht einmal berühren. Wenn sie ihn nur sähe. Wüsste, dass es ihm gut ging. Das Atmen fiel ihr schwer. Natürlich ging es ihm nicht gut. Man hatte ihn gefangen, verschleppt und jemanden wie Aran, einen Krieger, überwältigte man nicht kampflos. Nicht, ohne ihn zu verletzen. Sie blinzelte gegen die aufsteigenden Tränen an.
Ku’guar senkte seinen Kopf. »Wir werden Aran befreien. Ich verspreche es dir. Ich kann es riechen.« Er sah Juliane an. »Und die Nase eines Semchai irrt sich niemals.«
»Danke.« Sie schenkte ihm ein zittriges Lächeln. »Ich werde versuchen, ein wenig zu schlafen.« Damit rollte sie sich zusammen wie ein verwundeter Igel.
Juliane kam in einem Saal zu sich, dessen Boden, Wände und Decken aus schwarzem, mattem Stein bestanden.
Sie drehte sich um die eigene Achse. Wieder in der Ausgangsposition angekommen, lagen auf einmal unzählige Leichen zu ihren Füßen.
Ein süßlicher, leicht metallischer Geruch lag in der Luft. Ein Gestank, den sie bereits zu oft, zu intensiv wahrgenommen hatte. Sie unterdrückte die aufsteigende Übelkeit und besah sich die Toten genauer. Ihr Herz stockte, als sie Ranon erkannte.
Ruhig, es ist nur ein böser Traum. Reiß dich zusammen, Juliane!
Ein paar Meter weiter lag Kalira auf der Erde wie eine fortgeworfene Puppe. Ihre Augen waren geschlossen, die Gesichtszüge schlaff, Bluttropfen glitzerten auf ihrem Hals wie eine Kette aus roten Zuchtperlen.
Juliane schluckte und lief schneller. Ein schmatzendes Geräusch lenkte ihre Aufmerksamkeit auf ihre Füße. Sie stieß einen leisen Schrei aus. Sie stand inmitten einer Blutpfütze. Eiseskälte breitete sich in ihrem Inneren aus. Sie ging weiter und achtete diesmal darauf, wohin sie ihre Schritte setzte.
Ein Stöhnen ließ sie innehalten. Sie eilte mit klopfendem Herz zu dem Verwundeten. Ein eisiger Stich durchzuckte sie, als sie sich neben der Gestalt bückte. Sie brauchte ihn nicht umzudrehen, um Aran zu erkennen. Tränen stiegen in ihr auf.
»Aran«, flüsterte sie.
Sie erkannte ihn kaum wieder. Eine breite Haarsträhne klebte blutverkrustet an seiner Wange. Die rechte Gesichtshälfte zeigte sich blau und geschwollen und sein Auge war kaum mehr als ein Schlitz.
»Juliane«, kam es mühsam über seine Lippen. Er hob seinen Arm und verzog sein Gesicht vor Schmerz. Seine Finger berührten ihre Wange, ihre Lippen und ihren Hals, ehe er den Arm kraftlos fallen ließ.
»O Gott, Aran, bist du es wirklich? Oder ist es nur ein Traum?« Sie schluchzte.
»Du musst mutig sein. Habe keine Angst, ich habe auch keine«, krächzte er angestrengt.
Sie beugte sich über ihn und küsste seine aufgesprungenen Lippen. Die silberne Schnur blieb stumm und unsichtbar.
Juliane weinte. »Die silberne Schnur, ich fühle sie nicht mehr.« Verzweiflung breitete sich in ihr aus. Wie ein dumpfer Schmerz saß sie in ihrem Herzen, lähmte ihre Seele. »Wo bist du? Wie
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