Die Zauberschatten - Goryydon #2 (German Edition)
Türklinke, bekam sie zu fassen und stürzte nach draußen, während sich der Puma über das Fleisch auf dem Boden hermachte.
Michaela rannte schluchzend aus dem Zimmer.
Am Ende des Flurs kam Shaara aus seinem Gemach gelaufen.
»Bei den Großen Führern, was ist vorgefallen?« Er umfasste sie an den Schultern und zog sie an sich.
Nachdem sie zweimal erfolglos versucht hatte, zu sprechen, hielt sie inne und zwang sich erst einmal zur Ruhe. In der tröstlichen Wärme seiner Umarmung fühlte sie sich allmählich sicher. »Ku’guar, ich glaube, er ist verrückt geworden«, stammelte sie schließlich.
Shaara warf einen Blick auf Ku’guars Tür.
»Warum? Was ist geschehen?«
»Er hat mich angesprungen, als wäre er kein Mensch, also, kein Semchai. Er benahm sich wie ein wildes Tier.« Erneut brandete Panik in ihr auf.
Shaara löste die Umarmung. »Ich schaue nach.«
Sie hielt ihn zurück. »Nicht!«
Er schob sie beiseite und öffnete entschlossen die Tür.
Michaela erwartete Knurren, Fauchen, einen wild gewordenen Ku’guar, der aus dem Zimmer stürmte, stattdessen rief Shaara sie hinein.
Zögernd trat sie näher. Ku’guar lag auf dem Bett und schlief tief und fest. Sie ging zu ihm und sah Shaara an. »Das gibt’s nicht. Er hat mich vor kaum fünf Minuten angefallen.« Sie suchte die Schüssel und das Fleisch, beides war nicht zu entdecken, doch die Blutflecken zeugten von der Richtigkeit ihrer Erzählung. Kurz schwankte sie zwischen dem kindischen Bedürfnis, zu petzen und dem Wunsch, einen Freund zu schützen. Letzteres siegte.
»Komm, lass uns gehen. Wir wollen ihn nicht wecken«, meinte Shaara. Er ließ nicht erkennen, ob er die verschmutzte Wand bemerkte.
Sie warf einen zornigen Blick auf Ku’guar. »Ich weiß, dass mit dir was nicht stimmt«, flüsterte sie im Brustton tiefster Überzeugung, ehe sie Shaara folgte.
Am frühen Nachmittag konnte Michaela Shaara endlich entfliehen. Er hatte sich Mühe gegeben, sie abzulenken. Shaara kümmerte sich charmant und zuvorkommend um sie. Doch sie vertrug diese übertriebene Fürsorge nur begrenzt. Also hatte sie sich bei der ersten Möglichkeit abgesetzt.
Lächelnd dachte sie, dass sie Shaara gern zu sich nach Hause bringen würde. An einen Mann wie ihn könnte sie sich vielleicht gewöhnen. Andererseits konnte sie sich Shaara kaum in ihrer Welt vorstellen. Dazu das Getratsche, wenn sie, eine Schülerin, einen so viel älteren Freund hätte. Sie seufzte; hierbleiben wollte sie auf keinen Fall, wenn das möglich war.
»Also nicht«, flüsterte sie bedauernd. Sie erreichte Ku’guars Zimmertür, starrte das Holz an und merkte, wie die Furcht ihr Herz schneller schlagen ließ. Ein unangenehm kaltes Kribbeln wanderte über ihre Haut. Sie überlegte, ob sie es wagen sollte, allein nach Ku’guar zu sehen. Michaela gab sich einen Ruck. Als Schwester Goryydons größter Heldin durfte sie vor einer derartigen Kleinigkeit nicht kneifen.
»Ku’guar?« Sie schlüpfte in sein Zimmer.
Ku’guar saß mit dem Rücken zu ihr gewandt auf dem Bett. Seine Körperhaltung verriet ihr, dass er nicht bester Laune schien. Sie setzte sich neben ihn und sah ihn an. Er wirkte bedrückt. Eine Weile tat sie es ihm nach, indem sie aus dem Fenster starrte.
»Was ist mit dir?«, fragte sie schließlich. »Versuch nicht, mich anzulügen. Das wäre nicht fair. Wir beide haben dem Tod zu oft ins Gesicht gespuckt.« Sie fröstelte. Viel zu häufig für ihren Geschmack. Da hatte sie gedacht, zu Hause sei es gefährlich. Im Vergleich zu Goryydon war es dort geradezu idyllisch.
»Bitte verrate es niemandem«, brach es aus Ku’guar heraus.
»Was denn?«
»Ich glaube, es ist das Sempah.« Seinem Gesicht nach zu urteilen, musste dies etwas Unangenehmes sein.
»Das was?« Das Leben hier hatte durchaus seinen Reiz, es gab so vieles zu lernen, Fremdes und Skurriles zu erleben.
»Sempah, jeder männliche Semchai macht das mehrmals in seinem Leben durch. Es sollte mir noch nicht widerfahren, ich bin zu jung dafür.«
»Was ist das, dieses Sempah?«
Ku’guar schwieg eine Zeit lang. Es schien ihm peinlich zu sein. »Wir verlieren für eine Weile unsere ganze Menschlichkeit und müssen uns in die Wildnis zurückziehen.«
»Und das hast du?«
»Ich weiß nicht, ich fürchte es. Ich kann meine Verwandlungen nicht mehr lenken und habe zunehmend Probleme zu sprechen, wenn ich ein Silberlöwe bin. Ich verliere in diesen Momenten meine Menschlichkeit.«
Michaela legte ihm tröstend die Hand
Weitere Kostenlose Bücher