Die Zauberschatten - Goryydon #2 (German Edition)
Burg zur Jagd verließ. In ihr entstand langsam der Eindruck, er ginge ihr aus dem Weg.
Ein Stöhnen ließ sich vernehmen. Sie betrat unaufgefordert das Zimmer.
Das Schlafgemach war ebenso karg möbliert wie ihr eigenes. Das Bett schien unberührt, doch schweres Atmen verriet ihr, das Ku’guar im Raum sein musste. Sie ging um das Bett herum und fand ihn auf dem Boden.
»Ku’guar!« Sie eilte zu ihm.
Er lag auf dem Bauch und regte sich, als er ihre Stimme vernahm. Schwerfällig rappelte er sich auf.
»Was ist los, Ku’guar?« Sie kniete sich neben ihn und half ihm, sich aufzurichten. Sein Gesicht wirkte hager und er hatte dunkle Ringe unter den Augen. Seine Gliedmaßen zuckten unkontrolliert.
»Bist du krank?« Sie nahm seine Hand.
Er schüttelte den Kopf und befreite sich aus ihrem Griff. Schwankend ging er zu der schmalen Kommode, auf der ein Waschkrug und eine Schüssel standen. Daneben entdeckte sie eine Karaffe und einen Becher. Er goss sich das Gefäß voll, stürzte den Inhalt in einem Zug hinunter und füllte den Becher erneut.
»Du siehst nicht gut aus. Was ist mit dir?«
»Nichts weiter.«
Er kam ihr seltsam geistesabwesend vor, als er sich zum Fenster schleppte und hinaus in den blauen Mittagshimmel starrte.
»Laufen, einfach laufen und den Wind im Fell spüren«, sagte er verträumt. »Hast du schon einmal gejagt? Ein unvergleichliches Gefühl, wenn du das erste Mal die Witterung aufnimmst. Du duckst dich, schleichst dich an. Immer gegen den Wind, damit deine Beute dich nicht riecht. Aber dann, ein unvorsichtiges Auftreten, ein Drehen der Windrichtung. Du weißt, jetzt bist du entdeckt. Deine Jagdbeute legt die Ohren an. Sie schnüffelt, sieht sich um. Du kannst förmlich das wilde Pochen ihres Herzens hören. Du riechst ihre Angst und der Geruch stachelt dich an. Du zügelst das Verlangen, denn du ahnst, gleich wird deine Beute fliehen und die Jagd wird den Genuss bis an die Grenze des Schmerzes steigern. Endlich macht dein Gegenüber den entscheidenden Fehler und flieht. Damit ist sein Schicksal besiegelt. Nun kannst du deinen Gefühlen freien Lauf lassen. Du brüllst deine Freude, deine Lust an der Verfolgung hinaus und deine geschärften Sinne berauschen dich. Du lässt deine Beute rennen. Sie hofft, dir zu entfliehen, aber du weißt genau, dass du sie jederzeit einholen könntest, wenn du wolltest. Wenn du hungrig und müde bist, machst du dem Ganzen endlich ein Ende. Du stürzt dich auf das fliehende Tier, beißt ihm die Kehle durch und das dampfende rote Blut ergießt sich auf den Boden. Dies und das zuckende warme Fleisch unter dir können dich zur Raserei bringen. Dann der erste Bissen, hinein in dieses köstliche …«
Sie stöhnte. »Hör auf, mir wird schlecht.«
Ku’guar schreckte auf. Schuldbewusst starrte er sie an. »Es tut mir leid, Mi-Challa. Ich weiß nicht, was in mich gefahren ist. Ich träume ständig davon.«
Sie beäugte ihn misstrauisch. »Du änderst hoffentlich nicht deine Meinung und frisst mich am Ende doch noch?«
Er lachte gequält. »Hältst du mich etwa für gefährlich?«
Michaela zuckte mit den Schultern. »Weiß nicht, auf jeden Fall haben wir dich seit gestern Morgen nicht mehr gesehen.« Sie ging zur Tür. »Ich bringe dir was zu essen.«
Ku’guar ließ sich auf sein Bett sinken. »Roh und blutig, bitte.«
Sie schluckte. »Okay.« Damit drückte sie sich durch die halb offene Tür und floh hinunter in die Küche. Dort führte sie eine längere Diskussion mit dem Koch, der es als Affront gegen seine Kochkünste betrachtete, rohes Fleisch herauszugeben. Zudem verstand er nicht, wer in der Burg etwas anderes als fertig zubereitete Speisen forderte. Da Michaela vermutete, Ku’guar wäre die Aufklärung des Küchenpersonals nicht recht, schwieg sie und drohte dem Koch, einigen seiner fettesten Gänse die Hälse umzudrehen, gäbe er nicht nach.
Stolz trug sie anschließend die Schüssel mit blutigen Schweinekeulen hinauf zu Ku’guar.
Sie öffnete die Tür mit dem Ellenbogen und schob sie mit dem Rücken auf. Michaela betrat den Raum, als etwas hinterrücks über sie herfiel. Fauchen und Grollen füllten ihre Ohren. Wucht und Gewicht des Angriffs pressten sie gegen die Wand. Aus den Augenwinkeln registrierte sie, wie die Schüssel mit dem Fleisch gegen die Wand knallte und dort Blutspritzer und einen fetten, roten Streifen hinterließ. Adrenalin schoss durch ihre Venen und betäubte den Schmerz. Panik summte in ihren Ohren. Sie tastete nach der
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