Die zehn besten Tage meines Lebens: Roman (German Edition)
der Philadelphia Phillies, sogar im Tiefschlaf identifizieren könnte. Ich hatte Musser eines Tages urplötzlich an der Strippe, weil ich mich verwählt hatte, und ich erkannte ihn sofort, nur an seinem »Hallo«. Wir plauderten geschlagene eineinhalb Stunden lang über seine Pensionierung, über Tug McGraw, Pete Rose, Mike Schmidt und die glorreichen Zeiten, als die Philadelphia Phillies 1980 die Meisterschaften gewonnen hatten.
Ich habe mir so oft am Samstagabend mit meinen Großeltern die Klassiker auf Channel 12 angeguckt, dass ich sie alle auswendig kenne – Alfred Hitchcock, Cary Grant, Jack Lemmon, Billy Wilder, William Wyler … Ich könnte glatt eine Vorlesung darüber halten.
Nun sind das natürlich lauter wunderschöne Erinnerungen an eine Zeit voller Geborgenheit und Liebe, und als meine Großeltern und mein Onkel starben, vermisste ich die Samstagabende mit ihnen sehr. Doch als Kind habe ich mir nichts sehnlicher gewünscht als einen Besuch bei McDonald’s oder eine Pyjamaparty bei einer meiner Mitschülerinnen. Dazu kam, dass ich ständig gehänselt wurde. Ich war eine fünfundsechzigjährige Achtjährige, der die Eltern zum Mittagessen Pflaumensaft mitgaben und die das auch noch lecker fand. Ganz gleich, mit welchem noch so tollen Spielzeug ich prahlte, ich wurde nicht akzeptiert.
Als ich mich wegen der Hänseleien einmal bei meinen Eltern beschwerte, gaben sie mir folgenden Rat: petzen.
Ich muss wohl nicht extra erwähnen, dass ich damit auf der Beliebtheitsskala nur noch weiter nach unten rutschte.
Ich petzte, wenn mich die anderen Kinder in der Pause anrempelten oder versuchten, beim Test von mir abzuschreiben. Ich wurde immer als Letzte ins Völkerballteam gewählt und immer als Erste abgeschossen, und auch das petzte ich, so lange, bis (und ich sage das nicht ohne Stolz) Völkerball zum Wohle zahlreicher nachfolgender Schülergenerationen aus dem Sportprogramm unserer Schule gestrichen wurde wegen der erschreckenden, ja, verheerenden Auswirkungen auf die physische und psychische Verfassung der schwächeren Mitspieler. Unbeliebt war ich trotzdem, aber das kümmerte mich herzlich wenig. Ich konnte mit meinen Mitschülern ohnehin nicht viel anfangen. Olivia Wilson, Kerry Collins und Dana Stanbury, drei perfekte kleine Mädchen mit perfekten Frisuren, lauerten mir hinter dem Basketballplatz auf und machten sich über mich, mein Essen, mein Aussehen lustig: Über die Tatsache, dass meine Lunchbox täglich vier liebevoll eingewickelte Päckchen enthielt, über meine stets makellos gebügelte blau-weiße Schuluniform, über meine blauen Strümpfe, die immer ordentlich bis zu den Knien hochgezogen waren. Diese Biester.
Wenn mich Seth Rosso, sein Zwillingsbruder Tom und Greg Rice an den Rattenschwänzchen zogen, dann geschah das nicht etwa als Zeichen ihrer Zuneigung. Sie verabscheuten mich genauso sehr wie ich sie. Mann, wie oft habe ich die drei verpetzt.
Schließlich befahl mir meine Mutter, die anderen Kinder einfach zu ignorieren, und das tat ich dann auch, obwohl es mir nicht leichtfiel. Ich las, ich malte, ich fachsimpelte mit meinen Lehrern über gute Restaurants in und um Philadelphia. Ich war entschlossen, mich von meinen gemeinen Mitschülern nicht tyrannisieren zu lassen.
Doch als ich in der vierten Klasse war, inszenierten sie eines schönen Tages einen regelrechten Großangriff. Sie mussten die Sache im Voraus geplant haben, und sie kannten kein Pardon.
Trotzdem entpuppte sich der Tag, von dem sie wohl gehofft hatten, er wäre der schwärzeste meines Lebens, für mich als einer der besten. (Und damit komme ich endlich zum Punkt. Wer hätte gedacht, dass ich so viel zu erzählen habe?)
An diesem Tag lernte ich meine beste, treueste Freundin kennen.
Es war ein Oktobertag, gegen neun Uhr früh, und ich befand mich mit den anderen Schülern in unserer Klasse, als Penelope Goldstein in mein Leben trat. Ich saß in der ersten Reihe (wo sonst), und unsere Klassenlehrerin Mrs. Hoffman war eben die Anwesenheitsliste durchgegangen, als unsere Direktorin Mrs. Macknicki den Kopf zur Tür hereinstreckte.
»Hallo Kinder. Ihr bekommt heute eine neue Mitschülerin«, verkündete Mrs. Macknicki. »Das ist Penelope Goldstein. Sie ist vor kurzem von New York City nach Philadelphia gezogen. Bitte heißt sie mit mir willkommen.«
Erst da hob ich den Kopf. Ich hatte gar nicht bemerkt, dass Mrs. Macknicki und Penelope hereingekommen waren, so vertieft war ich in mein Buch, einen Jugendklassiker mit
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