Die zehn besten Tage meines Lebens: Roman (German Edition)
schon existiert, noch niemand eine Möglichkeit entwickelt hat, mit den Menschen auf der Erde Kontakt aufzunehmen, einmal abgesehen davon, dass wir ihnen im Traum erscheinen. Wo, bitteschön, steckt eigentlich Adam Graham Bell? Wahrscheinlich macht sich der Kerl irgendwo hier im siebten Himmel ein schönes Leben (äh, einen schönen Tod) und kippt einen Mai Tai nach dem anderen, dabei sollte er lieber ein Handy erfinden, mit dem ich von meinem Traumhaus aus das Telefon in Penelopes Wohnung in Manhattan oder das auf dem Nachttisch meiner Mutter klingeln lassen kann.
Man sollte dem Kerl den Spitznamen »Alexander der Faule« verpassen, jawohl!
ZWEI
Es gibt zwei große Fragen, die mich quasi pausenlos beschäftigen. Die erste lautet: Wie viel Geld muss ein Mensch haben, um als reich zu gelten?
Ich habe noch das Plakat vor Augen, auf dem in fetten Lettern diese Frage stand. Darunter war ein schmutzverkrusteter, unrasierter Obdachloser abgebildet, der von einem Ohr zum anderen grinste. Beide Schneidezähne fehlten, und auch seitlich waren Zahnlücken auszumachen. Ich habe mir schon oft ausgemalt, wie die Aufnahme entstand: Der Fotograf hält ihm die Kamera vor die Nase, die Assistenten schwirren mit Belichtungsmessern und Reflektoren um ihn herum. Dann frage ich mich jedes Mal unwillkürlich, ob für den Mann in diesem Moment wohl all sein Elend an Bedeutung verloren hatte. Ob es unwichtig war, dass er kein Dach über dem Kopf hatte und sein Essen aus Abfalleimern fischen musste. In diesem Augenblick war er der reichste Mann der Welt, und es hatte rein gar nichts mit Geld zu tun: Aller Augen waren auf ihn gerichtet, und deshalb lächelte er.
Andererseits konnte die Aufnahme getürkt sein: Vielleicht war der Mann ja ein Schauspieler und hat fünfhundert Dollar für das Foto kassiert. Vielleicht waren die Schmutzflecke nur Make-up und die Zähne wegretuschiert. Ich tendiere mal zu dieser, mal zu jener Sichtweise, je nachdem, in welcher Stimmung ich gerade bin.
Ich habe den Leuten damals übrigens zehn Dollar gespendet, worauf sie mich für den Rest meines Lebens mit Reklame bombardierten, adressiert an Mister Alexander Dorenfield, was natürlich eine Frechheit ist, aber darum geht es nicht. Mir geht es um die spannende Frage, die sie aufgeworfen haben.
Die zweite Frage, die mir immer wieder durch den Kopf gegangen ist, lautet: Wie viele Freunde braucht ein Mensch auf dieser Welt? Es gibt da ein berühmtes Zitat von Lee Iacocca, dem Vorstand eines großen Autokonzerns. War es Chrysler? Keine Ahnung. Tut auch nichts zur Sache. Jedenfalls sagte er … Moment, genau genommen zitierte er seinen Vater, also: »Mein Vater sagte einmal: Wer fünf treue Freunde hatte, der hatte ein großartiges Leben.«
Dem muss ich entschieden widersprechen.
Ich finde, ein echter, treuer Freund reicht vollkommen. Und damit lasse ich mich auch jederzeit zitieren (aber bitte als Miss Alexandra Dorenfield, nicht Mister Alexander, ja?).
Ich habe im Laufe meines kurzen Daseins auf der Erde haufenweise Freundschaften geschlossen. Wenn ich zurückdenke, fallen mir auf Anhieb jede Menge Einladungen zum Dinner ein, Partys, Clubbings, Shopping und Kaffeetratsch. Mir fallen all die netten Leute ein, die ich in Philadelphia und Los Angeles kennengelernt habe. Ein paar davon waren sogar ausnehmend nett, aber ich würde sie trotzdem nicht als enge Freunde bezeichnen.
Dafür hatte ich die großartigste beste Freundin, die man sich wünschen kann. Nachdem wir uns angefreundet hatten, sah ich ganz einfach keinen Grund mehr, mich um weitere Freundschaften zu bemühen.
Aber bevor ich schildere, wie ich Penelope Goldstein kennengelernt habe (vierte Klasse, The Friends School), muss ich meinen geschätzten Lesern noch einige Hintergrundinformationen liefern.
Ich war schon immer ein unverstandenes Kind (jedenfalls habe ich das so empfunden). Wie bereits erwähnt, war ich ein biologisches Wunder. Und obendrein ein Einzelkind, eine Einzelenkelin, eine Einzelnichte. Ich hatte keinerlei Cousins oder Cousinen, nicht einmal ein paar ganz entfernte. Mit meinem Tod ist das Ende der Dorenfield-Linie besiegelt, leider. (Wow, das war mir bislang noch gar nicht bewusst. Wie traurig!) Und jetzt kommt der springende Punkt: Wer würde dieses Mädchen nicht nach Strich und Faden verwöhnen und verhätscheln wie die Prinzessin auf der Erbse?
Meine Familie jedenfalls hat genau das getan.
Von Stunde null an bis zu meinem fünfundzwanzigsten Geburtstag bekam ich
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