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Die zehn besten Tage meines Lebens: Roman (German Edition)

Die zehn besten Tage meines Lebens: Roman (German Edition)

Titel: Die zehn besten Tage meines Lebens: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adena Halpern
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ersten beiden Besuchen war ich noch die etwas unselbständige Tochter gewesen. Diesmal gab es einen bedeutenden Unterschied: Diesmal war ich erwachsen, ich war Unternehmerin, ich stand auf eigenen Füßen und bestimmte selbst über mein Leben, und das hatte ich weder finanziell noch sonst wie meinem Vater zu verdanken.
    Die ersten paar Tage schlichen wir also umeinander herum wie zuvor. Der Mensch ist eben ein Gewohnheitstier.
    Am dritten Tag saß ich gegen Mitternacht in der Küche und löffelte eine Schüssel Cornflakes. Meinen Vater wähnte ich in seinem Arbeitszimmer oder im Schlafzimmer, doch dann hörte ich plötzlich, wie der Schlüssel in die Hintertür gesteckt wurde, die von der Garage ins Haus führt. Ich kam mir vor wie ein Eindringling.
    »Oh, hallo«, murmelte er und wirkte ungefähr so verlegen, wie ich mich fühlte.
    »Hallo«, antwortete ich und legte den Löffel auf den Tisch.
    Mein Dad hielt geradewegs auf die Küchentür zu, doch dann wandte er sich um und ging zum Kühlschrank, also erhob ich mich und stellte meine Schüssel ins Spülbecken.
    »Lass dich nicht stören«, sagte er und holte sich eine Limo aus dem Kühlschrank. »Iss ruhig weiter.«
    Also nahm ich meine Cornflakes und setzte mich wieder an den Tisch. Ich hatte gar keinen Hunger mehr, aber ich wusste, so eine Chance würde bestimmt nicht wiederkommen.
    »Na, hast du Überstunden geschoben?«, fragte ich, hauptsächlich der Höflichkeit halber.
    »Ja. Ein paar Bauunternehmer aus Hongkong sind diese Woche in der Stadt.«
    »Oh«, sagte ich, weil mir nichts Besseres einfiel.
    Dad setzte sich an den Tisch und wir schwiegen uns eine Weile an. Meine Cornflakes waren inzwischen total aufgeweicht.
    »Und dir geht es gut in Kalifornien?«, wollte er wissen.
    »Ja, es läuft alles prima.«
    »Mom hat erzählt, du hast dich selbständig gemacht?«
    »Ja, als persönliche Einkaufsberaterin. Es gibt erstaunlich viele Leute, die nicht in der Lage sind, sich vernünftig einzukleiden.«
    Er gluckste.
    »Tja, diese Verrückten im La-La-Land.«
    »Du sagst es.« Ich gluckste ebenfalls.
    »Du bist also mit deinem Leben in L. A. zufrieden?«
    »Ja, es gefällt mir. Ich fühle mich wohl dort. Heimisch.«
    »Gut. Das freut mich für dich.«
    »Danke, Dad.«
    Wieder schwiegen wir eine Weile.
    »Nun gut«, sagte er und erhob sich. Die Flasche ließ er stehen. »Ich bin froh, dass alles nach deinen Vorstellungen läuft.«
    »Danke, Dad.«
    »Tja, dann gute Nacht.«
    »Nacht, Dad«, erwiderte ich und sah ihm nach.
    Hätte ich geahnt, dass das unsere letzte Unterhaltung sein würde, dann hätte ich ihm gesagt, dass ich ihn liebe.
    Aber ich wusste es nicht.
    Was meinen Sie? Glauben Sie, er weiß, dass ich ihn immer lieben werde?
    Ich kann es nur hoffen.
    Mann, wenn ich könnte, würde ich mich auf der Stelle runter auf die Erde beamen und es ihm sagen.

NEUN
     
    Was würden Sie tun, wenn Sie wüssten, dass Sie noch genau einen Tag zu leben haben? Würden Sie wirklich etwas anders machen?
    Nehmen wir einmal an, Sie stehen morgens auf und finden in Ihrer Mailbox folgende Nachricht, Absender [email protected]:
     
    Liebe(r) xy, hiermit setzen wir Dich davon in Kenntnis, dass dies Dein letzter Tag auf der Erde ist. Mach das Beste daraus!
    Mit freundlichen Grüßen,
    Dein Schutzengel
     
    Na, was würden Sie tun?
    Hätte ich so eine E-Mail bekommen und gewusst, was ich jetzt weiß, dann hätte ich meinen letzten Tag als eine Art außerordentlichen Geburtstag betrachtet. An seinem Geburtstag ist man ja gleich morgens beim Aufwachen besser aufgelegt als sonst, alle sind freundlich und nett und singen ein paarmal »Happy Birthday«, und nach dem Mittagessen bekommt man den obligatorischen Muffin oder ein Stück Kuchen mit einer brennenden Kerze überreicht. Ansonsten ist es ein ziemlich normaler Tag, nur gelegentlich, wenn er sich allzu normal anfühlt, ruft man sich in Erinnerung: »Moment, ich habe doch heute Geburtstag!«, und dann wird einem warm ums Herz und man fährt mit einem Lächeln auf den Lippen mit seiner Arbeit fort. Ungefähr so hätte ich es gemacht. Ich hätte kurz innegehalten, mich umgesehen und mir gesagt: »Heute ist der letzte Tag deines Lebens. Mach das Beste daraus!«
    Das ist aber auch schon alles, was ich aus heutiger Sicht anders gemacht hätte.
    Andererseits ist es vielleicht doch ganz gut, dass wir nicht im Voraus Bescheid wissen, wann wir den Löffel abgeben müssen. Hätte ich vor meinem Tod tatsächlich eine E-Mail von Deborah

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