Die zehn Kreise (Höllenfeuer) (German Edition)
als wolle er sich vor Schlägen schützen, die vor langer Zeit auf ihn eingeprasselt sein mussten.
Hilflos blickte Eleanor zwischen den beiden hin und her. Was sollte sie nur tun? Sie hatte absolut keine Ahnung, welches die richtige Entscheidung sein mochte . Nur eines war sicher – wenn sie jetzt versagte, würde dieser Ort ihr Gefängnis sein.
Sie musste an Raphael denken. Wäre er jetzt hier, so wüsste er sicher, was zu tun wäre. Er hatte es doch immer gewusst, schon damals, als sie vor Samael auf der Flucht gewesen waren…
Was hatte er damals gesagt? Wie waren seine Worte gewesen? „Samael ist raffiniert. Er wird es so darstellen, als ob es nur zwei Wege gäbe, die du beschreiten kannst. Beide werden dir falsch und unsicher erscheinen. Beide werden dir sündig erscheinen, aber einer von beiden wird einen Funken Gutes beinhalten. Samael wird davon ausgehen, dass du diesen der beiden Wege beschreitest, weil er dich zumindest ein wenig wird glauben lassen, dass du richtig gehandelt hast.“
„Aber wenn auch dieser Weg falsch ist, was soll ich dann tun?“, hatte Eleanor verzweifelt erwidert.
„Gehe den dritten Weg! Jenen, den Samael dir nicht aufgezeigt hat!“
Den dritten Weg… Aber was mochte der dritte Weg sein? Eigentlich gab es nur eine Möglichkeit – sie musste beide retten, selbst dann, wenn dies unmöglich schien. Und plötzlich wusste sie, was sie zu tun hatte. Langsam trat sie auf Juda zu und kniete an seiner Seite nieder. Sanft legte sie ihre Hand auf seine Wange und sprach.
„Juda, wach auf!“
Judas Augenlider flatterten, dann ging ein Beben durch seinen Körper und plötzlich schlug er die Augen auf. Zunächst flackerte sein Blick vollkommen desorientiert durch das leere grelle Zimmer. Doch dann sah er Eleanor an seiner Seite und fing ihren Blick voll Furcht ein.
„Juda“, sagte sie. „Die Zeit deines Selbsthasses ist vorbei, denn nur wenige Menschen haben Größeres vollbracht als du!“
„Ich habe den Heiland auf dem Gewissen!“, wimmerte Juda und Tränen schossen ihm in die Augen. „Ich habe den Tod verdient für das, was ich getan habe. Ich habe der Welt nichts als Kummer gebracht! Und dann habe ich diesen Kummer auf mich geladen und bis hierher an diesen Ort getragen!“
„Nein, Juda. Das stimmt nicht“, erwiderte Eleanor sanft. Und plötzlich kamen ihr die Worte von Vater Erik in den Sinn und ebenso wusste sie nun, wie sie seinen Satz beenden musste.
„Wenn wir sterben, können wir nichts mit uns nehmen.“, sagte sie zu Juda. „Aber wir können etwas zurücklassen. Und das, was wir zurücklassen, wird gewogen werden. Und sein Gewicht bemisst sich nach dem, wie fruchtbar der Boden war auf den es fiel und welche Frucht es getragen hat. Du hast den Boden unter Jesu Füßen fruchtbar gemacht, doch die Welt hat es nicht verstanden! “
Juda zuckte zusammen , als habe man geohrfeigt. Dann blickte er zu Eleanor auf, so als sei er gerade in diesem Moment erst aufgewacht.
„War… war mein Herr erfolgreich?“, fragte er erregt, während sich seine Hand an Eleanor festkrallte. „Ist seine Botschaft gehört worden?“
„Oh ja“, antwortete Eleanor mit einem ruhigen Lächeln. „Von weit mehr Menschen, als du es dir vorstellen kannst!“
Juda sackte zurück und zum ersten Mal seit zweitausend Jahren zog sich ein Lächeln über sein Gesicht. Es war ein müdes Lächeln und doch so voll von unendlichem Frieden.
„Wer… wer bist du?“, fragte er schließlich unsicher. „Wie bist du hierhergekommen?“
„Mein Name ist Eleanor“, erwiderte sie. „Aber für alles Weitere haben wir jetzt keine Zeit. Es gibt noch immer etwas, was wir jetzt zusammen tun müssen.“
Juda blickte sie fragend an, doch als er ihrem Blick folgte erstarrten seine Gesichtszüge.
„Asasel!“, hauchte er. „Was macht er hier?“
Mit einer unsicheren Bewegung kam er auf die Beine und stolperte zu dem Körper des verkrüppelten Engel hinüber.
„Er ist aus demselben Grund hier wie du!“, sprach Eleanor leise. „Als er sich von Jeshua verraten fühlte ist ein unfassbarer Zorn aus ihm herausgebrochen. Seine Wut auf die Menschen und auf seine eigene Tat war so gewaltig, dass sein Hass keine Grenzen mehr kannte. Es mag viele Wesen in Gottes Schöpfung geben, die sich selbst hassen. Aber dieses Zimmer im Zentrum der Hölle ist jenen vorbehalten, die von sich selbst glauben, dass sie die gesamte Schöpfung verraten haben. Und in den letzten zweitausend Jahren hat es nur zwei gegeben, auf
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