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Die zehn Kreise (Höllenfeuer) (German Edition)

Die zehn Kreise (Höllenfeuer) (German Edition)

Titel: Die zehn Kreise (Höllenfeuer) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Conrad
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Seite bist, wenn ich dort hineingehe…“
    Schlagartig erstarb ihre gute Laune und sie blickten furchtsam den Weg entlang, der schon nach wenigen Metern im Nebel verschwand.
    „Wie weit mag es wohl noch sein, bis sich an dieser Landschaft etwas ändert?“, flüsterte sie.
    „Nicht mehr weit!“, erwiderte William ebenso leise. „Wir sind noch zu nah am Meer… dem Meer der toten Seeleute. Der Nebel müsste bald aufreißen, dann werden wir etwas sehen können.“
    Wieder schwiegen die beiden, während sie nun vorsichtig weitergingen, Meter um Meter, Meile um Meile. Und endlich erschien es Eleanor, als ob sich der Nebel vor ihr veränderte. Noch immer war er dick und undurchsichtig, doch während er sich hinter den beiden sofort zu einer grauen, dunklen Masse schloss, wirkte er vor ihnen beinahe so, als würde er leuchten. Sie sah zu William, der sich im Gehen ebenfalls prüfend nach hinten umblickte und dann wieder angestrengt nach vorn schaute.
    „Du siehst es auch, oder?“, fragte Eleanor.
    „Ja, der Nebel vor uns leuchtet.“
    Immer deutlicher erschien der Nebel vor ihnen nun rot glühend, beinahe, als würde es vor ihnen auf dem Weg brennen. Dann rissen die Nebelschwaden urplötzlich auf und vor ihnen enthüllte sich ein Szenario, den keiner von beiden je würde vergessen können.
    „Dort geht es zur Hölle!“, sagte William nur.
    Sie standen direkt an der Abbruchkante einer mächtigen Klippe. Mehr als hundert Meter unter ihnen begann eine weite Ebene, die sich bis zum Horizont erstreckte. Nur wenig war auf dieser Ebene zu sehen, denn es schien, als sei einmal ein Feuer über sie hinweg gezogen. Sie war vollkommen schwarz und verkohlt. Hier und da standen die verbrannten Stümpfe jener Bäume, die Eleanor bereits kennen und fürchten gelernt hatte. Doch das Beeindruckendste war nicht die tote Landschaft zu ihren Füßen, sondern der Himmel. An der Stelle, wo sie standen , war er noch immer grau und lückenlos bedeckt, von schweren, niedrigen Wolken verhangen, die mit unfassbarem Tempo über das Firmament zogen und sich über jener toten Landschaft zu ihren Füßen plötzlich pechschwarz färbten. So abgrundtief schwarz waren die Wolken vor ihnen, dass sie vollkommen unsichtbar gewesen wären, wenn nicht immer wieder Blitze in ihrem Innern aufgeleuchtet hätten. Und in diesen kurzen Augenblicken flackerten die Konturen der tief dahin fliegenden Wolkenberge unheimlich auf. Doch als seien diese Wolken nicht aus Gas gebildet, so wirkten sie vielmehr wie flüssiger Teer, der sich in Blasen und Strudeln allen Gesetzen der Physik entgegen am Himmel hin- und herwand, wirbelte und unablässig auf die Erde zu stürzen drohte. Ab und zu zerplatzte tatsächlich eine der riesigen Blasen am Himmel und dann regnete es an jener Stelle zähflüssigen Teer vom Himmel, der fast überall die Steine bedeckte und die ganze Landschaft in Dreck und Unrat tauchte. Eleanor und William zogen bei diesem Anblick unwillkürlich die Köpfe ein und mühten sich, am Horizont ein Ende dieses Anblicks zu finden. Und tatsächlich – weit entfernt, gerade noch durch das menschliche Auge auszumachen, strebten die Wolken auf einen einzigen Punkt am Horizont zu, wo sie sich an einer bestimmten Stelle plötzlich zu entzünden schienen. Dort brannte der Himmel lichterloh und tauchte die Ebene in ein flackerndes Licht.
    „Da müssen wir hin , wenn wir ins Zentrum der Hölle wollen, in den ersten Kreis…“, flüsterte William. Sein Händedruck hatte nachgelassen und seine Finger schienen in Eleanors Hand zu zittern.
    „Dahin?“, hauchte Eleanor. „Bist du sicher?“
    William nickte. „Dort wo die Sünde am heißesten brennt, liegt unser Ziel.“, erwiderte er etwas fester. Doch die Unsicherheit und Angst ließ sich nicht aus seiner Stimme vertreiben.
    „Wie kommen wir dahin?“, fragte Eleanor, während sie die schroffen Klippen hinabblickte. „Zum Klettern scheint es an dieser Stelle zu steil zu sein.“
    William ließ ein kleines Lachen erklingen, ein ungewohnter Laut an diesem Ort und noch ungewohnter von jemandem wie ihm.
    „ Ihr habt hier keinen Körper, der sterben kann!“, sagte er. Dann zog er Eleanor hinter sich her. „Kommt, Milady. Springt!“
    „Springen? Bist du verrückt…?“
    Doch es war zu spät. William hatte Eleanor bereits hinter sich her über den Rand der Felsen gezogen und mit sich hinab in die Tiefe gerissen. Der Fall schien eine Ewigkeit zu dauern und Eleanor hätte nicht sagen können, ob sie währenddessen

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