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Die zehn Kreise (Höllenfeuer) (German Edition)

Die zehn Kreise (Höllenfeuer) (German Edition)

Titel: Die zehn Kreise (Höllenfeuer) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Conrad
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laut geschrien oder vor Entsetzen die Luft angehalten hatte. Dann jedoch waren sie mit einem dumpfen Schlag unten angelangt. Der verbrannte Staub der Ebene wallte zu allen Seiten auf, als sie auf ihre Füße fielen.
    „Da wären wir!“, stellte William schlicht fest und klopfte sich ein wenig schwarze Asche von der Schulter. „Jetzt müssen wir dorthin!“ Er zeigte auf den lodernden Himmel, der viele Meilen entfernt zu sein schien.
    Eleanor war noch immer wie erstarrt und keuchte wild.
    „Mach das nie wieder, ohne mich vorzuwarnen!“, stieß sie atemlos hervor. „Ich bin noch nicht so lange hier wie du. Für mich ist das neu!“
    William blickte überrascht zurück. „Verzeiht mir“, sagte er betreten. „Daran habe ich nicht gedacht. Ist alles in Ordnung mit euch?“
    Eleanor nickte tapfer. Dann wandte auch sie den Blick wieder nach vorn. „Dahin also?“
    William nickte.
    „Gut, dann wollen wir mal sehen, wie weit der Weg für uns ist.“
    Mit diesen Worten setzte Eleanor sich in Bewegung. Sie begann über die verödete Ebene zu laufen, in hohem Tempo und ohne die scharfen, splittrigen Felsen unter ihren Füßen auch nur zu bemerken. Durch einen Blick über ihre Schulter vergewisserte sie sich, dass auch William losgelaufen war. Er hielt sich nur eine Armeslänge links hinter Eleanor und rannte ebenso schnell wie sie und ebenfalls ohne zu ermüden.
    Mit hohem Tempo fegten die zwei über die schwarze Ebene auf das weit entfernte Licht und die brennenden Wolken zu. Sie liefen und liefen, vielleicht eine oder zwei Stunden lang, Eleanor hätte es nicht sagen können. Doch wie im Grasmeer vor dem Dorf der Verdammten verspürte sie auch hier keine Müdigkeit, keine Erschöpfung oder Mutlosigkeit. Das rot flackernde Zentrum schien nicht näherkommen zu wollen, doch sie war weit davon entfernt, aufgeben zu wollen oder zu können. Dort, in dieser Richtung, musste Raphael sein. Dort würde sie ihn finden.
    Eleanor wusste nicht, wie lange sie schon so gelaufen war, als ein Schrei hinter ihr sie aus ihrer Bahn brachte. Abrupt blieb sie stehen und blickte sich nach William um. Mit starrem Blick sah dieser nach rechts, wo sich auf der Ebene, vielleicht hundert Meter von ihnen entfernt, Merkwürdiges abspielte.
    Dort waren Gestalten zu sehen, vielleicht ein halbes Dutzend, die ungewöhnlich ziellos umherirrten. Mit ausgestreckten Armen, als wären sie blind, wankten sie unkoordiniert über die schwarzen Felsen.
    „Was mag da sein?“, hauchte Eleanor.
    Eine Weile sagte keiner ein Wort, dann erwiderte William: „Diese Seelen sind blind. Zu Lebzeiten haben sie gesündigt, weil sie das Wort Gottes nicht haben hören wollen. Sie kannten es wohl, doch sie entschieden sich dafür, wegzuschauen und die Augen zu schließen. Es schien ihnen bequemer zu sein, die Worte des Herrn zu ignorieren oder wegzudiskutieren. Nun sind sie hier mit Blindheit geschlagen – ebenso, wie sie es im Leben waren.“
    „Woher weißt du das?“, fragte Eleanor leise.
    „Das sieht man doch“, erwiderte William achselzuckend und ohne den Blick von den beklagenswerten Gestalten zu lösen, die dort hinten umherirrten.
    Eleanor sah ihn irritiert an. „Ich hätte es nicht erkannt.“
    „Wer so lange mit der Hölle zu tun hatte wie ich, weiß gewisse Dinge schon lange, bevor er sie zum ersten Mal sieht“, sagte William gepresst. Noch immer wandte er den Blick nicht von den fernen Gestalten ab.
    Eleanor hob verwundert die Augenbrauen. An William schien mehr zu sein, als sie bislang gedacht hatte.
    „Und was tun wir jetzt?“, fragte sie beunruhigt.
    „Was sollen wir tun?“, meinte William. „Sie sind verdammt, ebenso wie wir zwei. Wir können nichts tun!“
    Erneut kräuselte Eleanor die Stirn. „Wir können sie doch dort nicht so umherirren lassen“, wandte sie ein. „Das wäre unmenschlich. Wir müssen versuchen, ihnen zu helfen!“
    William löste sich von dem Anblick der Seelen in der Ferne und blickte Eleanor erstaunt an.
    „Unmenschlich?“, fragte er. „Aber natürlich, die Hölle ist unmenschlich. Das ist ihre Natur. Dagegen lässt sich nichts tun.“
    Eleanor erwiderte seinen Blick, dann bildete sich eine steile Zornesfalte auf ihrer Stirn. „Wer so denkt, wird nie hier herauskommen!“, sagte sie. Dann setzte sie sich in Bewegung und ging auf die blinden Seelen zu.
    Nach vielleicht fünfzig oder sechzig Metern konnte sie bereits einige Details ausmachen, die ihr bislang verborgen geblieben waren. Es waren tatsächlich sechs

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