Die zehn Kreise (Höllenfeuer) (German Edition)
wir nur im äußersten Kreis leben, so ist doch schon hier die Last unserer Schuld beinahe unerträglich. Und je tiefer du von hier aus in die Hölle gehst, desto mehr Menschen wirst du finden, denen nicht einmal bewusst ist, dass sie mit ihrem Schicksal nicht allein sind. Dass es an diesem Ort schier Abermillionen von Seelen geben muss, deren Grauen und völlige Einsamkeit sie teilen.“
Vater Erik verstummte und eine Weile sagte keiner von ihnen ein Wort…
„Ich werde mit dir gehen!“
Eleanor und Vater Erik blickten zu Will. Er schluchzte und doch sah er die beiden vor sich mit einem Ausdruck von Angst und Trotz zugleich an.
„Mein Sohn, bist du dir sicher?“, fragte Vater Erik sanft. „Wenn du erst dort draußen bist, wird es nur wenig geben, das dich schützt. Und in dieser Welt gelten andere Gesetze als in jener Welt, aus der du kommst. Ich kann dir nicht einmal sicher sagen, ob du unser Dorf wohlbehalten wiederfinden könntest. Schon nach wenige hundert Metern könnte sich alles verändert haben, was du kennst. Der Entschluss, ins Innerste der Hölle aufzubrechen, mag unabsehbare Folgen für dich haben!“
Will schluckte. Mit einer fahrigen Geste wischte er sich die Tränen aus dem Gesicht. Dann sah er Vater Erik fest an und erwiderte: „Das mag sein. Ich weiß nicht, was mich da draußen erwartet. Aber ich weiß, dass ich das Leben im Dorf nicht länger ertrage. Ich will etwas an meinem Leben hier ändern. Vielleicht wird es eine Änderung zum Schlechten sein. Aber ebenso gut kann es sich alles zum Besseren wandeln. Ich würde nie im Leben auf den Gedanken kommen allein ins Zentrum der Hölle zu ziehen. Aber wenn dieses Mädchen…“ – er zeigte auf Eleanor – „…wenn sie es wagen will, um einen Engel zu suchen, dann will ich mitgehen. Vielleicht wird mich ja der Weg durch das Herz der Hölle aus diesem verfluchten Leben führen. Und selbst wenn meine Seele durch all das, was ich dort sehen muss und erleben werde Schaden nimmt und ein für allemal zugrunde geht, dann habe ich dieses gottlose Leben wenigstens hinter mir…!“
Vater Erik sah sie aufmerksam an. Dann zog sich plötzlich ein kleines Lächeln der Anerkennung über seine Lippen und er nickte.
„So soll es also sein“, sagte er ernst.
D er neunte Kreis – Die Sklavenwelt
Michael sah sich verwirrt um. Noch immer lag seine Hand in der Elizabeths, doch die Welt um ihn herum hatte sich verändert. Noch immer standen sie in Michaels Zimmer, doch der Raum hatte kaum etwas mit jenem gemein, in dem Michael seit Jahren lebte. All seine Sachen waren verschwunden. Das Bett, sein Schreibtisch, der kleine Schrank und auch die Bücherregale an den Wänden. Es war alles weg.
Stattdessen stand lediglich eine alte, hölzerne Truhe in jener Ecke, in der normalerweise das Bett stand. Die Wände waren fleckig und an einigen Stellen schimmlig. Auch Decke und Boden hatten sich verändert. Hatte in Michaels Zimmer ein dicker Teppich den Boden bedeckt, so waren hier schwere, dunkle Holzdielen zu sehen. Die gleichen Holzbalken bildeten auch die Zimmerdecke, während Michael seine Decke hell in Erinnerung hatte. Selbst das Fenster sah hier anders aus. Es schien kleiner, hatte ein zusätzliches Fensterkreuz und bestand aus dünnem unregelmäßigem Glas, das altertümlich und fremd wirkte. Michael fröstelte, denn kalte Luft drang von außen herein. Es war ein ungewohntes Gefühl, denn die Kälte schien nicht auf der Haut zu liegen, sondern aus seinem Inneren zu kommen. Beinahe so, als fröre sein Herz.
„Wo sind wir hier?“, flüsterte er.
„In der Hölle!“, gab Elizabeth ebenso leise zurück.
„Das soll die Hölle sein?“
„Zumindest die nächstgelegene Hölle.“
„Was meinst du damit?“
„Wir sind noch am selben Ort“, begann Elizabeth. „In deinem Haus. Aber wir befinden uns auch in der Hölle. In diesem Haus muss einmal etwas geschehen sein, dass eine Seele hier an diesem Ort gebunden hat. Wir sind hier an eben jenem Ort und in jenem Augenblick, da eine Seele ihre Reinheit mit Sünde befleckt hat. Dies ist der Moment, den der Sünder in der Hölle bis zum Tag des Jüngsten Gerichts immer und immer wieder durchleben muss.“
„Hier? Hier in diesem Haus?“ Michael stockte der Atem.
„Nun, zumindest, wenn er auch hier gestorben ist. Für gewöhnlich verbleibt die Seele an jenem Ort, an dem sie die Welt verlassen hat. Es mag also auch sein, dass hier nur ein Sünder verstorben ist, der seine Todsünde Jahre zuvor an
Weitere Kostenlose Bücher