Die zehn Kreise (Höllenfeuer) (German Edition)
einfach aufs Geradewohl nach ihm suchen…“
„Wenn das so ist, können wir wohl gleich aufgeben!“, stöhnte Michael.
„Sag das nicht! Es gibt einiges, das wir über die Hölle wissen, was jetzt hilfreich sein mag!“
„Was meinst du damit?“
„Zunächst einmal weiß ich, dass die Hölle in zehn Kreise aufgeteilt ist. Der äußerste, die Vorhölle, ist noch der harmloseste Ort. Aber je weiter du hineingehst, desto schlimmer wird es und ihr Zentrum ist für die schlimmsten Sünder vorbehalten. Jene, deren Schuld untilgbar scheint und zu heiß brennt, als dass sie zu löschen wäre. Aber jede Seele wird dort mit jener Schuld konfrontiert, die sie an diesen Ort gebracht hat, immer und immer wieder, bis ans Ende aller Tage. Deshalb ist zum Beispiel Jonathan Towers an das Haus gebunden in dem er seine Frau ermordete und in dem er auch starb. Für uns ist wichtig, dass dieses Haus in der Welt der Lebenden in Stratton steht. Innerhalb der Hölle aber steht es in jenem Kreis, welcher der Schwere seiner Tat entspricht.“
„Ich verstehe“, murmelte Michael. „Aber wie soll uns das weiterhelfen?“
„Eleanor sucht doch Raphael und sie weiß, dass Raphael bei Lilith ist. Lilith befindet sich in ihrem Toten Palast – ihrem Zufluchtsort in der Hölle. Dieser Ort hat in der Realität ein Gegenstück. So wie Samael in einem Mönchskloster lebte und Asasel irgendwo im Bereich von Stratton, so wird auch Lilith in der Welt der Lebenden einen Ort haben, an dem ihr Körper ruht. Wenn wir wüssten, wo das ist, könnten wir von dort aus in ihren Toten Palast eindringen.“
„Aber wir wissen es verdammt nochmal nicht“, fluchte Michael. „Und außerdem sind wir jetzt hier und nirgendwo sonst. Wenn sie in der Welt der Lebenden irgendwo in Sibirien lebte, würden wir nie dorthin gelangen. Wir sind doch extra hierhergekommen, weil es hier leichter scheint von A nach B zu gelangen. Auch Eleanor hat so gedacht.“
„Stimmt“, lachte Elizabeth. „Ich sehe, du hast verstanden. Wenn wir also den realen Ort ihres Toten Palastes nicht bestimmen können – was machen wir dann…?“
Michael stutzte. „Wir müssten wissen, in welchem Kreis der Hölle sie wohl anzutreffen ist. Also wie schwer ihre Vergehen waren…“
„Richtig!“ Elizabeth sah Michael stolz an. „Jemand wie Raphael, der nie wirklich gesündigt hat, dürfte seinen Toten Palast wohl nur in der Vorhölle gehabt haben. Jenen Palast, dessen reales Gegenstück sein kleines Zimmer in Stratton Hall war. Bei jemandem wie Lilith aber müssen wir in anderen Maßstäben denken.“
„Selbst die meisten Engel hatten Angst vor ihr oder verabscheuten sie zumindest“, warf Michael ein. „Wir sollten sie tief im Innern der Hölle antreffen. Vielleicht nicht unbedingt im ersten Kreis , aber doch sicher in einem der drei innersten.“
„So denke ich auch!“
„Aber wie kommen wir dorthin?“
Gemeinsam blickten die beiden sich um. Erst jetzt hatten sie Gelegenheit, ihre Umgebung endlich genauer in Augenschein zu nehmen. Sie standen an der Straße zwischen Stratton und Stratton Hall, und dennoch war diese Welt eine vollkommen andere. Bei einem Blick zurück zu den Häusern von Stratton erkannten sie, dass die Mauern des Dorfes lodernd brannten. Kleine, flackernde Flammen leckten über die Steine, zogen sich zu den Dächern empor und ließen die Luft flimmern und zittern. Es herrschte ein rotes Zwielicht und brennende Wolken jagten mit unglaublicher Geschwindigkeit über ihren Köpfen gen Osten. Sie bedeckten den Himmel vollkommen und lückenlos, so dass man nicht hätte sagen können, wie spät es wohl sein mochte. Und doch – dort im Osten, wohin die Wolken zogen, spielte sich ein überaus ungewöhnliches Himmelsphänomen ab. Dort schienen die Wolken zu erlöschen und in ein finsteres Schwarz einzutauchen. Sämtliches Licht und alle Farben wurden dort von den Wolken verschluckt, so dass man fast das Gefühl haben konnte, erblindet zu sein.
Die beiden sahen sich gleichzeitig an. „Dort ...“, begann Elizabeth.
„…müssen wir hin!“, beendete Michael ihren Satz.
…
Die kleine Gemeinschaft um Eleanor lief unermüdlich weiter. Niemand von ihnen hätte sagen können, wie lange sie schon unterwegs waren, denn in der Hölle spielte Zeit keine Rolle. Keiner von ihnen zeigte Anzeichen von Erschöpfung, Hunger oder Durst. Sie sprachen nicht und blickten auch nicht auf den anderen, allein Toby und Kathryn sowie Robert und Allys hielten noch immer des
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