Die zehn Kreise (Höllenfeuer) (German Edition)
fragte sie und sah sich verwirrt um.
„Na dort… der Fluss!“, half William ihr nach, während sie aufgeregt auf das trübe Wasser zeigte.
Eleanor beäugte die Stelle, die William ihr zeigte, konnte jedoch nichts entdecken. „Was ist denn da?“, fragte sie.
„Der Fluss… er ist ein wenig vor dir zurückgewichen, als du ans Ufer getreten bist!“, erwiderte William erregt. „Ich habe es genau gesehen. Dieser Bogen im Ufer war eben noch nicht da!“
Eleanor blickte erstaunt zu Boden. Tatsächlich, zu ihren Füßen beschrieb das Wasser eine sanfte Kurve, doch sie hätte nicht sagen können, ob dies nicht auch vor ihrer Ankunft an diesem Ort der Fall gewesen war. Vorsichtig ging sie noch einen weiteren kleinen Schritt auf die dunkle Oberfläche des Wassers zu. Wenn sie ihren Fuß nun auf den Boden stellte, wäre sie nur noch wenige Zentimeter vom Wasser entfernt.
In diesem Augenblick gab der Fluss einige gluckernde Geräusche von sich, dann trat er noch weiter von Eleanor zurück. Kein Zweifel, diesen Bogen vor Eleanors Füßen hatte er eben noch nicht beschrieben. Eleanor schloss die Augen und biss die Zähne zusammen. Sie wusste, was sie zu tun hatte und doch war ihr seit ihrer Ankunft in der Hölle noch nie so bang ums Herz gewesen, wie in diesem Moment. Vielleicht war es das Beste, die Augen gar nicht wieder zu öffnen, sondern blind hindurchzugehen.
Doch gerade, als sie den ersten Schritt in den Fluss wagen wollte, hörte sie Tobys Stimme vom Ufer: „Nein! Tun sie das nicht, Milady. Vielleicht ist es nur eine Falle. Wir haben doch die Arme und Beine in diesem gottverfluchten Strom gesehen. Er will sie nur locken und wenn sie dann in seiner Mitte sind, verschlingt er sie!“
Kathryn an seiner Seite schrie vor Angst auf.
Eleanor öffnete die Augen und blickte auf den Fluss. Seine trägen Fluten eilten noch immer still und trügerisch vor ihr dahin. ‚Wie dem auch sei‘, dachte sie. ‚Eine Alternative gibt es nicht.‘
Dann trat sie entschlossen einen Schritt vor und der Fluss wich vor ihr zurück.
Eleanors Herz schlug wie wild, als sie sich nun Schritt für Schritt auf die Mitte des Stromes zubewegte. Sie blickte nicht zurück – allein dieser Weg zählte jetzt. Und der Fluss folgte jeder ihrer Bewegungen. Mit jedem Schritt, den sie machte, zog er sich von ihr zurück, während er sich hinter ihr wieder schloss. Und schließlich war Eleanor vollkommen von seinen schwarzen Massen umgeben. Immer wieder tauchten in den senkrechten Wasserwänden um sie herum schattenhaft Umrisse auf, Arme, Hände, manchmal gar Gesichter, die stumm zu schreien schienen und Eleanor mit weit aufgerissenen Augen voll Angst und Schrecken anstarrten. Eleanor begann zu weinen, doch sie ging tapfer weiter.
Und dann war es plötzlich geschafft. Von einem Augenblick auf den anderen sah sie das rettende Ufer vor sich, nur wenige Meter noch, dann stand sie plötzlich im Freien und hatte den Grenzfluss zur Vorhölle hinter sich gelassen.
Eleanor fiel in sich zusammen als hätte jemand die Fäden einer Marionette abgeschnitten. Sie schluchzte und ihre Schultern bebten, während die Tränen ungehemmt flossen.
„Das war das Unglaublichste, was ich je gesehen habe!“, hörte sie Kathryns Stimme neben sich, während sich eine Hand auf ihre Schulter legte und sie sanft drückte.
Eleanor zuckte zusammen und sah überrascht auf.
„Ihr… ihr habt es auch geschafft?“, stammelte sie.
„Ich glaube nicht, dass wir es geschafft haben“, stellte Toby anerkennend fest. „Aber wir haben uns direkt hinter dir gehalten. Und ehe wir uns versahen, waren wir drüben.“
Ein leises Schluchzen hinter ihm ließ sie herumfahren. Dort saß Allys auf einem Felsen und weinte hemmungslos.
„All die Menschen… die vielen Menschen…“, stammelte sie zusammenhanglos.
Eleanor erhob sich und ging auf sie zu. Sie nahm sie vorsichtig in die Arme und wiegte sie sanft.
„Ich weiß…“, flüsterte sie. „So viele verlorene Seelen… aber der Fluss wird sie nicht hergeben…“
„Ich weiß… ich weiß…“, schluchzte Allys. „Mir ist so kalt… so schrecklich kalt.“
Eleanor zuckte zusammen. „Wie kann das sein?“, fragte sie. „Wie kannst du hier ohne deinen wirklichen Körper Kälte fühlen?“
„Der Fluss…“, stammelte Allys. „Ich ging als Letzte. Er hat mich berührt, bevor er sich hinter uns schloss… seitdem friere ich…“
„Es ist nicht dein Körper der friert“, wandte Robert an ihrer Seite ein. „Deine Seele
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