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Die zehn Kreise (Höllenfeuer) (German Edition)

Die zehn Kreise (Höllenfeuer) (German Edition)

Titel: Die zehn Kreise (Höllenfeuer) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Conrad
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und dennoch ungleich tiefer und furchteinflößender.
    „Hört ihr das auch?“, klang Allys‘ Stimme ängstlich herüber. Es konnte kaum einen Zweifel daran geben, dass vor ihnen etwas auf sie wartete. Etwas Großes und Grauenerregendes.
    Ihre Schritte wurden unwillkürlich kürzer und langsamer, während sie sich auf das Geräusch zubewegten. Dann standen sie plötzlich am Rande einer hohen Klippe und sahen unter sich einen riesigen runden Talkessel, der sich bis zum Horizont erstreckte. Sein anderes Ende verschwand im rot flackernden Dunst, viele Meilen entfernt. Doch unter ihnen, an seinem Grund, spielten sich unbeschreibliche Szenen ab.
    Es mussten Abertausende von Menschen sein, die dort nackt und schmutzig umherirrten und dabei riesige Steine schleppten. Einige von ihnen waren mit schweren eisernen Ketten zu Gruppen zusammengeschmiedet. Sie zogen enorme Felsquader auf Schlitten über die Ebene, während andere mit aller Kraft an kleineren Steinen zerrten und zogen. Ihr unablässiges Stöhnen und Jammern hallte über die Talsohle bis zu den sechs Menschen hinauf, die fassungslos zu ihnen hinunterblickten. Das Merkwürdigste aber war fern am Horizont zu sehen. Dort, wo all die vielen Verdammten ihre steinerne Last auf einen Punkt hin zuzogen, entstand ein Gebäude, das jeder Beschreibung spottete. Es war gigantisch, so viel stand zweifelsfrei fest. Doch seine Form entzog sich jeder Logik und jedweden Sinns. Türme ragten an merkwürdigen Stellen aus ihm empor, nicht eine der Wände war gerade oder gar von einheitlicher Höhe. Die Fenster, welche schwarz und tot in die Ebene hinaus starrten, standen schief und unregelmäßig in den Mauern. Unförmige Kuppeln gaben dem Ganzen den Anschein eines alptraumhaften Käfers, der außerhalb jeder Naturform stand und nicht Teil der Schöpfung sein konnte.
    Eleanor hatte noch nie zuvor ein Bauwerk gesehen, das so hässlich und zugleich s o offensichtlich sinnlos wirkte wie das, was dort hinten entstand. Sie schüttelte sich, als ein eiskalter Schauer über ihren Rücken lief.
    „Was ist das?“, flüsterte Toby an ihrer Seite, doch Eleanor konnte nur ratlos mit den Schultern zucken.
    „Ich weiß es nicht“, flüsterte sie. „Doch es kann nichts Gutes sein.“
    Eine Weile sagte keiner von ihnen ein Wort. Das Stöhnen, Weinen und Klagen drang zu ihnen hinauf und ließ sie innerlich frösteln. Schließlich war es William, der leise sprach.
    „Das sind Sklaven!“, sagte er leise. „Ihre Seelen sind hier und büßen für die Sünden, die sie zu Lebzeiten begangen haben.“
    Alle Blicken wandten sich ihm zu, während er weitersprach. „Wir sind im neunten Kreis der Hölle, jenem Ort, an dem die Hochmütigen ihre Sünden zu tragen haben. Hierher kommen all jene, die im Leben das eigene Leben über das ihrer Mitmenschen gestellt haben. Sie haben unterdrückt, ausgebeutet und versklavt. Hier aber treffen sie auf das gleiche Schicksal, das sie anderen verschafft haben.“
    „An diesem Ort wird die Sünde der Hochmut bestraft?“, erklang Allys‘ Stimme ängstlich.
    William nickte ohne den Blick von der Szene unter ihnen abzuwenden. „All das, was sie anderen angetan haben, fällt hier auf sie selbst zurück. Ich nehme an, dass deshalb auch dieses Gebäude nie einen Zweck erfüllen wird.“
    Er wies auf das riesige Bauwerk am Horizont, dessen kranke Formen sich jeder Bestimmung entzogen. „So sinnlos, wie ihre Ausbeutung von Menschen zu Lebzeiten gewesen ist, so sinnlos wird das Bauwerk sein, dass zu errichten sie hier gezwungen werden.“
    Kathryn schluchzte auf und schlug sich die Hände vor das Gesicht. Dann wandte sie sich um und barg ihr Gesicht an Tobys Brust. Sie weinte und ließ ihren Gefühlen freien Lauf. Doch auch die anderen waren vor Schrecken und Entsetzen fassungslos.
    „Was wollen wir tun?“, fragte Robert nach einer Weile. Seine Stimme klang schwach und belegt zu Eleanor hinüber.
    „Ich weiß es nicht…“, flüsterte sie. „Wir müssen irgendwie dort hinüber, wo die Wolken hinziehen.“ Sie wies mit dem Kinn in die Richtung, in der auch das unheimliche Bauwerk stand.
    „Aber dazu müssen wir durch das Tal“, jammerte Allys. „Ich weiß nicht, ob ich das kann.“
    „Es hilft nichts“, erwiderte William. „Vorbeigehen können wir nicht. Dazu ist es zu groß. Wir müssen durch!“
    Die sechs blickten einander an. Dann setzten sie sich zögernd in Bewegung und machten sich an den Abstieg hinunter auf den Boden des Tales. Sie hätten ebenso gut

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